Zu den Voraussetzungen des Eintritts in eine Preisprüfung und zur Aufklärung unangemessener Preise
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Zu den Voraussetzungen des Eintritts in eine Preisprüfung und zur Aufklärung unangemessener Preise
Beschluss des OLG Düsseldorf – Verg 13/21 vom 19. Mai 2021
Es kann dem Auftraggeber nicht verwehrt sein, in eine Preisprüfung nach § 16d EU VOB/A auch dann einzutreten, wenn eine Aufgreifschwelle nicht erreicht ist, aber das Angebot aus anderen Gründen konkreten Anlass zur Preisprüfung gibt.
Eine solche Preisprüfung kann von den Nachprüfungsinstanzen nur daraufhin geprüft werden, ob sie gegen das Willkürverbot verstößt.
Nichts spricht dagegen, Einzelschritte der Preisprüfung wie eine Nachforderung und eine Erklärung zu einzelnen Preispositionen miteinander zu kombinieren, wenn dies im Einzelfall sinnvoll erscheint.
Ist ein Unternehmen in der Lage, sämtliche seiner Nachunternehmer zu benennen, ist es ihm grundsätzlich auch zuzumuten, die von den Nachunternehmern erbrachten Leistungspositionen preislich aufzuschlüsseln.
In der Entscheidung des OLG Düsseldorf ging es u. a. um Fragen der Preisprüfung und speziell der Aufklärung unangemessener Preise.
Sachverhalt:
In dem zugrunde liegenden Sachverhalt schrieb die Auftraggeberin den Bau einer Brücke europaweit aus. Einziges Zuschlagskriterium war der Preis. Die Auftragsbekanntmachung enthielt keine Angabe zum geschätzten Gesamtwert der Baumaßnahme, die Auftraggeberin schätzte den Auftragswert aber aufgrund der Berechnung eines Ingenieurbüros. Das Formblatt 223 „Aufgliederung der Einheitspreise“ war „ausgefüllt auf gesondertes Verlangen“ beim Auftraggeber einzureichen, unabhängig davon, ob Teilleistungen vom Auftragnehmer oder einem Nachunternehmer erbracht werden. Das Angebot der Antragstellerin lag an erster Stelle und wich um 11,25 Prozent von der unveröffentlichten LVKostenberechnung ab. Es enthielt teilweise sehr niedrige bzw. überhöhte Einheitspreise. Daraufhin stieg die Auftraggeberin vertieft in die Preisprüfung ein und verlangte eine Aufklärung der Einheitspreise unter Hinweis darauf, dass das Angebot nach § 16 EU Nr. 4 VOB/A ausgeschlossen wird, wenn die Angaben nicht innerhalb der gesetzten Frist „vollständig“ vorgelegt werden. Darüber hinaus sollte die Antragstellerin in Bezug auf einzelne Positionen des Leistungsverzeichnisses Zeitansätze, Kalkulation und Ansätze für Löhne, Stoffe und Geräte erläutern. Die Auftraggeberin vermerkte dazu, dass die von der Antragstellerin angebotenen Einheitspreise für diese Positionen im Vergleich mit aktuellen Projekten weit unter bzw. über den marktüblichen Preisen für diese Leistungspositionen lägen. Die Aufforderung enthielt den Hinweis, dass das Angebot gemäß § 15 EU Abs. 2 VOB/A ausgeschlossen wird, wenn die Angaben nicht innerhalb der Frist vorgelegt werden.
Nachdem die Antragstellerin das Formblatt 223 in zahlreichen Positionen des Leistungsverzeichnisses ohne aufgeschlüsselte Preise, sondern nur mit der Angabe „0,00“ sowohl für Nachunternehmerleistungen als auch für Leistungen, die sie selbst erbringen wolle, einreichte bzw. Preise ohne Aufschlüsselung und betragsmäßig deckungsgleich in den Spalten „Sonstiges“ und „Angebotener Einheitspreis“ angab, teilte die Auftraggeberin der Antragstellerin mit, dass ihr Angebot von der Wertung ausgeschlossen werde, weil geforderte Unterlagen nicht rechtzeitig vorgelegt worden seien.
Nach vergeblicher Rüge beantragte die Antragstellerin die Nachprüfung.
Die Vergabekammer wies den Nachprüfungsantrag zurück. Dagegen erhob die Antragstellerin sofortige Beschwerde beim OLG Düsseldorf.
Aus den Gründen:
Nach Ansicht des Senats ist der Nachprüfungsantrag unbegründet, weil die Auftraggeberin das Angebot der Antragstellerin nach § 16 EU Nr. 4 VOB/A sowie nach § 15 EU Abs. 2 VOB/A ausschließen durfte.
Die Auftraggeberin habe das Angebot der Antragstellerin auch einer Preisprüfung nach § 16d EU Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 VOB/A i. V. m. § 15 EU Abs. 1 VOB/A unterziehen dürfen.
Zwar sei vorliegend die niedrigste maßgebliche Aufgreifschwelle eines Preisabstandes von 10 Prozent zwischen dem Angebot der Antragstellerin und dem der Beigeladenen nicht erreicht worden und eine Preisprüfung insofern nicht obligatorisch. Allerdings gäben die in der Rechtsprechung der Vergabesenate anerkannten Aufgreifschwellen nur Auskunft darüber, wann der öffentliche Auftraggeber zu einer Prüfung der Angemessenheit der Preise verpflichtet sei. Ob der öffentliche Auftraggeber Preise auch ohne entsprechende Verpflichtung auf ihre Angemessenheit prüfen dürfe, sei damit nicht geklärt. Überdies sei der preisliche Abstand zwischen Angeboten nicht zwingend der einzige Bezugspunkt für die Frage, ob in eine Preisprüfung eingetreten werden solle. Anlass dafür könne auch eine Abweichung von der eigenen Auftragswertschätzung des öffentlichen Auftraggebers geben. Dies gilt nach Ansicht des Senats auch dann, wenn der geschätzte Auftragswert nicht in der Auftragsbekanntmachung genannt ist.
Da die Preisprüfung primär dem haushaltsrechtlichen Interesse des öffentlichen Auftraggebers und der Öffentlichkeit an der wirtschaftlichsten Beschaffung diene, könne ein Auftraggeber auch dann in eine Preisprüfung eintreten, wenn zwar die Aufgreifschwelle nicht erreicht sei, aber das Angebot aus anderen Gründen konkreten Anlass zur Preisprüfung gebe. Diese Entscheidung sei von den Vergabenachprüfungsinstanzen nur daraufhin überprüfbar, ob sie gegen das Willkürverbot verstoße. Letzteres verneint der Senat vorliegend. Denn der Angebotspreis der Antragstellerin sei der Auftraggeberin unangemessen niedrig erschienen, und es hätten Anhaltspunkte für eine Mischkalkulation bestanden. Insoweit habe sich die Auftraggeberin darauf stützen dürfen, dass der von der Antragstellerin angebotene Gesamtpreis um mehr als 11 Prozent von der Auftragswertschätzung abgewichen sei. Darüber hinaus habe das Angebot der Antragstellerin eine Vielzahl von auffälligen Einzelpreispositionen enthalten, die auf eine unzulässige Mischkalkulation hätten hindeuten können.
Im Rahmen der Prüfung nach § 16d EU Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 VOB/A i. V. m. § 15 EU Abs. 1 VOB/A habe die Auftraggeberin auch das Formblatt 223 von der Antragstellerin anfordern dürfen, dessen Nachforderung sie sich in den Vergabeunterlagen vorbehalten hatte. Die Nachforderung des Formblatts habe inhaltlich mit der zulässigen Preisprüfung zusammengehangen.
Das Formblatt 223 diene einer ersten Prüfung der Preise und der Entscheidungsfindung, ob die Preise noch weiter aufzuklären seien. Es spreche auch nichts dagegen, Einzelschritte der Preisprüfung, die sonst nacheinander erfolgten, aus Beschleunigungsgründen zu kombinieren.
Weil die Antragstellerin das Formblatt 223 innerhalb der Frist nur unvollständig ausgefüllt vorgelegt habe, sei ihr Angebot sowohl nach § 16 EU Nr. 4 Satz 1 VOB/A als auch nach § 15 EU Abs. 2 VOB/A auszuschließen. Aus Wortlaut sowie Sinn und Zweck der Vorschriften folge der Angebotsausschluss, wenn ein Bieter die geforderten Angaben bzw. Erklärungen und Nachweise nicht vorlege. Das sei sowohl der Fall, wenn sie physisch in Gänze fehlten, als auch, wenn sie – wie hier – inhaltlich unvollständig seien, weil der Bieter in einem Formblatt vorzunehmende Eintragungen nicht vorgenommen habe.
Der Senat erachtet es auch für zumutbar, dass die Antragstellerin die Preise der Leistungspositionen aufschlüsselt, die von Nachunternehmern erbracht werden. Denn die Antragstellerin sei beim Ausfüllen des Formblatts 223 in der Lage gewesen, ihre Nachunternehmer zu benennen. Dass diese zu einer Aufschlüsselung ihrer Preise nicht bereit gewesen seien, sei nicht dargelegt worden. Zudem habe die Antragstellerin auch Leistungspositionen, die sie nicht an Nachunternehmer habe vergeben wollen, im Formblatt 223 preislich nicht vollständig aufgeschlüsselt.
Praktische Auswirkungen:
Das OLG Düsseldorf gibt Hinweise zu den Voraussetzungen des Eintritts in eine nichtobligatorische Preisprüfung und zur Aufklärung unangemessener Preise. Insbesondere stellt es klar, dass Auftraggeber in eine Preisprüfung nach § 16d EU VOB/A auch dann eintreten dürfen, wenn zwar eine Aufgreifschwelle nicht erreicht ist, aber aus anderen Gründen konkreter Anlass zur Preisprüfung besteht.
(Quelle: VOBaktuell Heft IV/2021
Ass. jur. Anja Mundt)