Verbraucherbauvertrag nur bei Beauftragung eines einzigen Unternehmers

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Verbraucherbauvertrag nur bei Beauftragung eines einzigen Unternehmers
Urteil des Kammergerichts vom 16. November 2021 – 21 U 41/21

Leitsätze:
Ein Verbraucherbauvertrag über erhebliche Umbaumaßnahmen an einem bestehenden Gebäude (§ 650i Abs. 1 BGB) setzt voraus, dass das Auftragsvolumen dem eines Vertrags über die Errichtung eines Neubaus gleichkommt sowie dass der Verbraucher grundsätzlich mit sämtlichen der von ihm geplanten Baumaßnahmen nur einen einzigen Unternehmer beauftragt hat.

Widerruft der Verbraucher einen außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Werkvertrag gem. § 312g BGB, steht dem Unternehmer für bereits erbrachte Leistungen nur unter den Voraussetzungen von § 357 Abs. 8 BGB Wertersatz zu; § 357d BGB ist nicht analog anwendbar.

Beruft sich ein Verbraucher auf den Ausschluss des Wertersatzes zugunsten des Unternehmers gem. § 357 Abs. 8 BGB, kann dies im Einzelfall treuwidrig sein, § 242 BGB. Die Voraussetzungen eines solchen Einzelfalls sind vom Unternehmer darzulegen.

Sachverhalt:
Der Kläger war Verbraucher und Eigentümer eines vermieteten Einfamilienhauses. Der Beklagte war selbständiger Schreinermeister. Aufgrund eines Mieterwechsels wollte der Kläger 2019 im Obergeschoss des Hauses Wände, Decken und Böden renovieren.

Am 25. April 2019 fragte er beim Beklagten per Mail an, ob er Interesse habe, die Sanierung der Böden und eventuell der Türen zu übernehmen, was der Beklagte bejahte. Nachdem er die Baustelle ohne Beisein des Klägers besichtigt hatte, übermittelte der Beklagte dem Kläger eine „Schnellkalkulation der besprochenen Arbeiten“ per Mail. Weitere Mails zwischen den Parteien schlossen sich an.

Am 28. Juni 2019 trafen sich der Kläger und der Beklagte auf der Baustelle. Dort erteilte der Kläger dem Beklagten mündlich unter anderem den Auftrag zur Herstellung einer Untersparrendämmung unter den Dachschrägen des Hauses. Der Kläger wurde vom Beklagten dabei nicht über sein Widerrufsrecht belehrt.

Der Beklagte begann mit den Arbeiten und stellte am 14. Juli 2019 dem Kläger eine Abschlagsrechnung in Höhe von 5.507,45 EUR (inkl. Umsatzsteuer), die der Kläger bezahlte. Danach gerieten die Parteien in Streit über die Abrechnung der Leistungen. Weitere Rechnungen des Beklagten wurden nicht mehr bezahlt.

Mit Schreiben vom 18. Mai 2020 erklärte der Kläger den Widerruf des Bauvertrages vom 28. Juni 2019 und forderte die geleisteten 5.507,45 Euro binnen 14 Tagen zurück. Der Beklagte kam der Zahlungsaufforderung nicht nach. Daraufhin erhob der Kläger Zahlungsklage nebst Zinsen.

Das Landgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, dass der Kläger zwar den Bauvertrag mit dem Beklagten aufgrund des Vorliegens eines außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrages gemäß §§ 312b, 312g BGB wirksam widerrufen habe, sodass dieser die erhaltenen Zahlungen zurückgewähren müsse. Er müsse sich aber analog § 357d S. 1 BGB den Wert der vom Beklagten geleisteten Arbeiten anrechnen lassen, was im Ergebnis zum Erlöschen des Erstattungsanspruchs führe. Gegen dieses Urteil wandte sich der Kläger mit der Berufung.

Aus den Gründen:
Die Berufung des Klägers hat Erfolg. Der Kläger hat einen Anspruch gegen den Beklagten auf Rückerstattung der 5.507,45 Euro (einschließlich Umsatzsteuer), die er auf den Bauvertrag vom 28. Juni 2019 an den Beklagten geleistet hatte (§ 357 Abs. 1 BGB). Der Kläger schloss am 28. Juni 2019 einen Bauvertrag mit dem Beklagten über diverse Sanierungsarbeiten im Haus des Klägers (§ 650a Abs. 1 BGB). Dieser Vertrag ist durch den wirksamen Widerruf des Klägers vom 18. Mai 2020 in ein Rückgewährschuldverhältnis umgewandelt worden. Dem Kläger stand ein Widerrufsrecht gemäß §§ 312b Abs. 1, 312g Abs. 1 BGB zu, das er wirksam ausgeübt hat.

Bei dem Bauvertrag zwischen den Parteien handelt es sich um einen Verbrauchervertrag gemäß §§ 312 Abs. 1, 310 Abs. 3 BGB. Insbesondere schloss ihn der Kläger als Verbraucher, § 13 BGB. Zwar vermietet er das Haus, in dem der Beklagte die Sanierungsarbeiten ausführen sollte, da es sich aber um ein Einfamilienhaus handelt, hat diese Vermietung nicht den Charakter einer gewerblichen oder selbständigen Tätigkeit, sondern ist als bloße Vermögensverwaltung zu bewerten.

Kläger und Beklagter schlossen den Bauvertrag über die Sanierungsarbeiten unstreitig mündlich am 28. Juni 2019 bei gleichzeitiger körperlicher Anwesenheit im Haus des Klägers, also außerhalb der Geschäftsräume des Beklagten, § 312b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BGB.

Es ist unerheblich, dass dieses Treffen auf die Initiative des Klägers zurückging und dass die Parteien zuvor bereits mehrere Mails ausgetauscht hatten. Dies ergibt sich aus dem Erwägungsgrund 21 der Richtlinie 2011/83/EU („Verbraucherrechte- Richtlinie“ im Folgenden: EU-VerbrRRL).

Ob ein Außer-Geschäftsraum-Vertrag im Sinne von § 312b Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BGB möglicherweise dann nicht gegeben ist, wenn die Parteien vor dem Vertragsschluss schon einmal am selben Ort zu Vertragsgesprächen zusammengetroffen waren, kann offenbleiben. Ein solcher Fall liegt hier nicht vor. Der Beklagte hatte die Baustelle vor dem 28. Juni 2019 offenbar nicht im Beisein des Klägers besichtigt.

Das bei einem Außer-Geschäftsraum-Vertrag gemäß §§ 312b, 312g BGB bestehende Widerrufsrecht des Verbrauchers ist nicht gemäß § 312 Abs. 2 Nr. 3 BGB ausgeschlossen. Dazu müsste es sich bei dem Vertrag zwischen den Parteien um einen Verbraucherbauvertrag im Sinne von § 650i Abs. 1 BGB handeln. Das ist nicht der Fall.

Nicht jeder Bauvertrag, dessen Auftraggeber ein Verbraucher ist, ist ein Verbraucherbauvertrag. Weitere Voraussetzung ist, dass die Verpflichtung zum Bau eines neuen Gebäudes oder zu erheblichen Umbaumaßnahmen an einem bestehenden Gebäude Vertragsgegenstand ist (§ 650i Abs. 1 BGB).

Die Frage, wann Umbaumaßnahmen im Bestand als „erheblich“ anzusehen sind, eröffnet einen Auslegungsspielraum. Bei dieser Auslegung ist die Erheblichkeitsschwelle eher hoch anzusetzen, sodass der Anwendungsbereich für den Verbraucherbauvertrag eher eng anzusehen ist.

Für die Rechtslage vor dem 1. Januar 2018, als § 312 Abs. 2 Nr. 3 BGB bereits dieselbe Regelung nur ohne den Verweis auf den seinerzeit noch nicht geschaffenen § 650i BGB enthielt, hat der BGH dies ausdrücklich bestätigt (BGH, Urteil vom 30. August 2018, VII ZR 243/17, Rn. 16). Für die Rechtslage des BGB nach Inkrafttreten des gesetzlichen Bauvertragsrechts hat dies weiter zu gelten. Zwar führt eine enge Auslegung des Begriffs „Verbraucherbauvertrag“ dazu, dass auch der hieran seit dem 1. Januar 2018 anknüpfende und in §§ 650i ff. sowie § 650f Abs. 6 S. 1 Nr. 2 BGB geregelte Verbraucherschutz in seinem Anwendungsbereich eingeschränkt wird, was isoliert betrachtet dem Zweck von Maßnahmen des Verbraucherschutzes zuwiderlaufen kann. Der Begriff des Verbraucherbauvertrags ist aber auch nach dem Inkrafttreten des gesetzlichen Bauvertragsrechts nicht nur Positivkriterium für den Verbraucherschutz nach §§ 650i ff. BGB, sondern zugleich Negativoder Ausschlusskriterium für den Verbraucherschutz aus §§ 312 ff. BGB, vgl. § 312 Abs. 2 Nr. 3 BGB.

Eine enge Auslegung des Begriffs „Verbraucherbauvertrag“ führt deshalb dazu, dass der Anwendungsbereich des Verbraucherschutzes aus §§ 312 ff. BGB vergrößert wird. Zwar greift dieser nur bei Verbraucherverträgen ein, die in bestimmten Abschlusssituationen (außerhalb von Geschäftsräumen, § 312b BGB oder im Wege des Fernabsatzes, § 312c BGB) zustande kamen. Wenn er eingreift, gewährt er dem Verbraucher durch die Einschränkung des Wertersatzes aber einen besseren Schutz in der Rückabwicklung von Bauverträgen, wie der Vergleich zwischen § 357 Abs. 8 und § 357d BGB zeigt.

Da der Verbraucherschutz der §§ 312 ff. BGB die EU-VerbrRRL umsetzt, die grundsätzlich vollständig zu harmonisieren ist (Art. 4 EU-VerbrRRL) und die ebenfalls eine hohe Erheblichkeitsschwelle für Umbauten im Bestand gemäß §§ 312 Abs. 2 Nr. 3, 650i Abs. 1 BGB fordert (vgl. Erwägungsgrund 26 EU-VerbrRRL), gebührt den §§ 312 ff. BGB in diesem Konfliktfall der Vorrang, zumal der deutsche Gesetzgeber bei der Einführung des gesetzlichen Bauvertragsrechts diesen Vorrang auch beachten wollte (vgl. BT-Drs 18/8486, S. 61).

Ist der Begriff des Verbraucherbauvertrags somit eng auszulegen, können Umbaumaßnahmen in einem Bestandsgebäude folglich erst dann als „erheblich“ angesehen werden, wenn sie in ihrem Umfang einem Neubau gleichkommen und somit mehrere Gewerke umfassen. Auf jeden Fall muss der Verbraucher alle Gewerke, die er im Rahmen seines Vorhabens beauftragen will, an einen Unternehmer übertragen, denn im gleichgestellten Fall eines Vertrags über den Bau eines neuen Gebäudes wäre es ebenso („Bauen aus einer Hand“, vgl. BGH, Urteil vom 30. August 2018, VII ZR 243/17; OLG Köln, Urteil vom 23. März 2017, 16 U 153/15; Retzlaff in: Palandt, Bürgerliches Gesetzbuch, 80. Auflage, 2021, § 650i BGB, Rn. 1 und 4; Langjahr in: Leupertz/Preussner/Sienz, Bauvertragsrecht, 2. Auflage, 2021, § 650i BGB, Rn. 15 f; a.A. OLG Hamm, Urteil vom 27. April 2021, 24 U 198/20).

Der streitgegenständliche Bauvertrag zwischen den Parteien erfüllt diese engen Voraussetzungen für einen Verbraucherbauvertrag nicht. Das Gesamtvolumen beläuft sich zwar auf eine Vergütung von jedenfalls mehr als 10.000,00 Euro, was ein Verbraucher durchaus als „erheblich“ empfinden kann. Es handelt sich aber nur um einzelne Maßnahmen des Innenausbaus im Obergeschoss eines Einfamilienhauses, zudem ist der Beklagte nicht einmal mit sämtlichen Bauleistungen beauftragt, die der Kläger ausführen lassen wollte. Die Elektrikerleistungen vergab dieser anderweitig.

Mit seinem Schreiben vom 18. Mai 2020 hat der Kläger sein Widerrufsrecht rechtzeitig ausgeübt. Da der Beklagte ihn hierüber nicht belehrt hatte, erlosch das Recht erst ein Jahr und 14 Tage nach Vertragsschluss (§§ 356 Abs. 3, 355 Abs. 2 BGB), also erst im Juli 2020. 

Der Beklagte hat dem Kläger somit die Zahlungen zurückzuerstatten, die der Kläger auf den widerrufenen Vertrag geleistet hatte.

Zwar hat der Beklagte Leistungen auf den widerrufenen Vertrag erbracht, die der Kläger nicht zurückgeben kann, weil sie in sein Haus eingebaut sind. Hierfür schuldet der Kläger dem Beklagten aber keinen Wertersatz, der mit seinem Rückerstattungsanspruch zu verrechnen wäre.

Der Wertersatz ist ausgeschlossen, da der Beklagte seine Leistungen ausführte, ohne den Kläger zuvor über sein Widerrufsrecht belehrt zu haben, § 357 Abs. 8 S. 2 BGB (vgl. BGH, Urteil vom 30. August 2018, VII ZR 243/17, Rn. 35).

Entgegen der Ansicht des Landgerichts ist es nicht möglich, einen Wertersatzanspruch des Beklagten aus der analogen Anwendung von § 357d BGB herzuleiten.

Es mag sein, dass der Gesetzgeber im Rahmen des gesetzlichen Bauvertragsrechts die Rechtsfolge des § 357d BGB als angemessene Lösung angesehen hat, wenn ein Verbraucher einen Bauvertrag widerruft und erbrachte Leistungen dem Unternehmer nicht zurückgeben kann, weil sie in ein Baugrundstück eingebaut sind.

Diese Wertung des deutschen Gesetzgebers steht aber im Widerspruch zum Ausschluss des Wertersatzes für „unbelehrte Dienstleistungen“ in Art. 14 Abs. 4 a) EU-VerbrRRL. Da diese Richtlinie im Grundsatz vollständig umzusetzen ist (Art. 4 EU-VerbrRRL), darf die von ihr vorgesehene Rechtsfolge im Rahmen ihres Anwendungsbereichs, also im Rahmen des Verbraucherschutzes nach §§ 312 ff. BGB, nicht durch eine analoge Anwendung abweichenden innerstaatlichen Rechts, etwa § 357d BGB, unterlaufen werden.

Gleichwohl kommt es in Betracht, die Rückabwicklung eines widerrufenen Bauvertrags ohne Wertersatz im Einzelfall als treuwidrig zu Lasten des Unternehmers anzusehen (§ 242 BGB). Da dies – anders als die generelle analoge Anwendung von § 357d BGB auf alle außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Bauverträge – eine Einzelfalllösung des allgemeinen deutschen Vertragsrechts wäre, würde das Gebot der Vollharmonisierung (Art. 4 EU-VerbrRRL) hierdurch nicht tangiert (vgl. insb. Erwägungsgrund 14 VerbrRRL).

Da gerade in kleinen Handwerksbetrieben, die nicht über die finanziellen Mittel für eine umfassende Rechtsberatung verfügen, das Widerrufsrecht bei einem auf der Baustelle geschlossenen Bauvertrag häufig unbekannt ist und es mitunter auch als kontraintuitiv empfunden wird, erscheint es nicht als ausgeschlossen, dass die wertersatzlose Rückabwicklung eines widerrufenen Bauvertrags zu einem treuwidrigen oder vielleicht sogar untragbaren Ergebnis führen kann.

Diese Treuwidrigkeit ist durch den betroffenen Bauunternehmer aber darzulegen. Die Darlegung setzt zumindest voraus, dass der Unternehmer die Widerrufsbelehrung des Verbrauchers nur fahrlässig unterlassen hat, die ausgeführten Leistungen mangelfrei sind und vom Verbraucher genutzt werden sowie dass der beanspruchte Wertersatz sowohl aus Sicht des Verbrauchers wie eines objektiven Dritten nicht unangemessen ist. Derartiges hat der Beklagte hier nicht vorgetragen.

(Quelle: VOBaktuell Heft II/2022
RA Dr. Philipp Mesenburg)