Schadensersatz für ausgeschlossenen Bieter bei nicht bekannt gemachten Eignungskriterien

Vorschaubild: www.BillionPhotos.com / shutterstock

Schadensersatz für ausgeschlossenen Bieter bei nicht bekannt gemachten Eignungskriterien
Urteil des Bundesgerichtshofs – XIII ZR 21/19 vom 6. Oktober 2020*)

Die Eignung eines Bieters, insbesondere seine für die ordnungsgemäße  Leistungserbringung erforderliche Leistungsfähigkeit, darf nur an Kriterien gemessen werden, die der Auftraggeber in den Vergabeunterlagen genannt hat oder die sich unter Berücksichtigung von Art und Umfang der zu erbringenden Leistungen sowie des vorgesehenen Ausführungszeitraums zwingend aus der Sache ergeben.

Wegen Nichterfüllung von Anforderungen an die Personalausstattung, die in den Vergabeunterlagen nicht ausdrücklich verlangt werden, darf ein Bieter nur dann als nicht hinreichend leistungsfähig ausgeschlossen werden, wenn aufgrund konkreter Umstände objektiv zumindest ernsthafte Zweifel daran bestehen, ob er mit dem ihm zur Verfügung stehenden Personal den Auftrag ordnungsgemäß und fristgerecht ausführen kann.

Schließt der Auftraggeber einen Bieter zu Unrecht wegen Nichterfüllung nicht-bekanntgemachter Eignungskriterien als ungeeignet aus und erteilt den Auftrag einem anderen Bieter, steht es dem Schadensersatzanspruch des ausgeschlossenen Bieters nicht entgegen, dass der Auftraggeber die Erfüllung und den Nachweis dieser Eignungskriterien in den Vergabeunterlagen hätte voraussetzen dürfen.

(Amtliche Leitsätze)

In der Entscheidung des BGH ging es um den Schadensersatzanspruch eines Bieters nach dessen Angebotsausschluss, weil der Auftraggeber Zweifel an der Eignung des Bieters im Hinblick auf zuvor nicht bekannt gemachte Eignungskriterien hatte.

Sachverhalt:
Der beklagte Landkreis schrieb heizungstechnische Sanierungsarbeiten in einem Kreisklinikum öffentlich aus. Die Klägerin gab das günstigste Angebot ab. Erstmals bei einem
Bietergespräch teilte der Beklagte der Klägerin seine Auffassung mit, dass für einzelne Arbeitsabschnitte die parallele Tätigkeit von mindestens vier Gruppen mit je zwei Monteuren erforderlich sei. Die Klägerin wollte dagegen lediglich zwei eigene Monteure einsetzen und im Übrigen im Bedarfsfall Leiharbeiter. Der Beklagte informierte die Klägerin, dass ihr Betrieb wegen einer unzureichenden Personalausstattung für das Bauvorhaben nicht geeignet sei und deshalb vom Bieterwettbewerb ausgeschlossen werde, und erteilte den Auftrag einem anderen Bieter.

Die Klage der Klägerin auf entgangenen Gewinn, weil sie den Auftrag hätte erhalten müssen, hat das Landgericht abgewiesen. Die Berufung ist zurückgewiesen worden. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Begehren weiter.

Nach Ansicht des BGH ist die Revision der Klägerin begründet.

Aus den Gründen:
Zutreffend nehme das Berufungsgericht an, dass der Beklagte bestimmte Mindestanforderungen an die Personalausstattung der Bieter nicht nachträglich als Eignungskriterium habe einführen dürfen.

Nach der Rechtsprechung des BGH müsse aus den Vergabeunterlagen für die Bieter eindeutig und unmissverständlich hervorgehen, welche Voraussetzungen sie erfüllen müssten, um den Auftrag erhalten zu können, und welche Erklärungen und Nachweise hierzu von ihnen verlangt würden. Die Vergabestelle sei verpflichtet, die Vergabeunterlagen klar und eindeutig zu formulieren und Widersprüche zu vermeiden.

Nach § 6 Abs. 3 Nr. 1 VOB/A 2012 seien zum Nachweis der Eignung der Bieter deren Fachkunde, Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit zu prüfen. Dazu könne der Auftraggeber über die in § 6 Abs. 3 Nr. 2 VOB/A 2012 genannten Angaben hinaus nach Nr. 3 auch auf den konkreten Auftrag bezogene zusätzliche Angaben verlangen. Die Nachweise, die hierzu mit dem Angebot vorzulegen seien oder deren spätere Anforderung vorbehalten werde, seien nach § 6 Abs. 3 Nr. 5 VOB/A 2012 in der Aufforderung zur Angebotsabgabe zu bezeichnen und nach § 12 Abs. 2 Nr. 2 i. V. m. Abs. 1 Nr. 2 Buchst. u VOB/A 2012 bekannt zu machen. Dies gewährleiste, dass mit der Bekanntmachung für jeden (potenziellen) Bieter feststehe, welche Anforderungen er erfüllen müsse, um den Auftrag ausführen zu können, und welche Eignungsnachweise der Auftraggeber hierzu von ihm verlange.

Folglich sei die Eignungsprüfung nach § 16 Abs. 2 Nr. 1 VOB/A 2012 (entspricht § 16b Abs. 1 VOB/A 2019) anhand der verlangten und in Übereinstimmung mit der Aufforderung zur Angebotsabgabe vorgelegten Nachweise durchzuführen.

Da die Auftragsbekanntmachung keine bestimmten Anforderungen an die Personalausstattung der Bieter enthalten habe, habe der Beklagte mithin nicht nachträglich eine personelle Ausstattung, die die parallele Tätigkeit von vier Gruppen mit jeweils zwei Monteuren erlaube, als Kriterium für die Eignung eines Bieters anwenden dürfen.

Zutreffend habe das Berufungsgericht weiter angenommen, dass sich der Schadensersatzanspruch wegen einer verfahrensfehlerhaft durchgeführten Ausschreibung grundsätzlich auf den Ersatz des Vertrauensschadens (negatives Interesse) beschränke und nur ausnahmsweise den Ersatz entgangenen Gewinns (positives Interesse) umfasse, wenn der übergangene Bieter den Auftrag bei ordnungsgemäßer Vergabe hätte erhalten müssen und ein Zuschlag tatsächlich erteilt worden sei.

Die Voraussetzung eines auf das positive Interesse gerichteten Schadensersatzanspruchs, dass der Zuschlag der Klägerin anstatt dem Mitbewerber hätte erteilt werden müssen, habe das Berufungsgericht jedoch mit unzutreffender Begründung verneint.

Denn das Berufungsgericht habe einen fehlerhaften Maßstab angelegt. Es habe nicht geprüft, ob der Klägerin bei fehlerfreier Fortsetzung des tatsächlich zu Ende geführten Vergabeverfahrens der Zuschlag zu erteilen gewesen wäre, sondern diese Prüfung durch die Prüfung ersetzt, ob die Klägerin in einem hypothetischen neuen Vergabeverfahren, in dem der Beklagte – zulässigerweise – andere oder zusätzliche Eignungskriterien formuliert und entsprechende Nachweise verlangt hätte, in der Lage gewesen wäre, diese Eignungsvoraussetzungen zu erfüllen und nachzuweisen.

Der bei der Prüfung des Schadensersatzanspruchs der Klägerin angewandte Maßstab des Berufungsgerichts sei mit der BGH-Rechtsprechung unvereinbar, nach der nicht nachträglich weitere Vergabekriterien eingeführt werden dürften.

Für die Prüfung eines auf das positive Interesse gerichteten Schadensersatzanspruchs eines Bieters komme es auf die objektiv richtige Beurteilung der Angebote anhand der in der
Bekanntmachung geforderten Eignungsnachweise und dort mitgeteilten Vergabekriterien an, wobei gegebenenfalls ein Wertungsspielraum der Vergabestelle zu beachten sei.

Die Entscheidung des Berufungsgerichts habe daher keinen Bestand. Da es nicht geprüft habe, ob der Klägerin der Zuschlag zu erteilen gewesen wäre und ob sie in diesem Fall den geltend gemachten Gewinn erzielt hätte, verweist der Senat die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurück und gibt folgende Hinweise:

Zunächst sei zu prüfen, ob die Klägerin bei der im Rahmen einer fehlerfreien Vergabe durchzuführenden Eignungsprüfung gemäß § 16 Abs. 2 VOB/A 2012 auszuschließen gewesen wäre.

Die Eignung eines Bieters, insbesondere seine Leistungsfähigkeit, dürfe nur an Kriterien gemessen werden, die der Auftraggeber in den Vergabeunterlagen genannt habe oder die sich nach Art und Umfang der zu erbringenden Leistungen sowie des vorgesehenen Ausführungszeitraums zwingend und für die Bieter transparent aus der Sache ergäben.

Da die Beklagte keine konkreten Anforderungen an Anzahl, Qualifikation und Verfügbarkeit der benötigten Arbeitskräfte gestellt habe, insbesondere die nachträglich für erforderlich erklärte Verfügbarkeit von mindestens vier Gruppen mit jeweils zwei Monteuren, könne die Leistungsfähigkeit der Klägerin nur dann verneint werden, wenn Art und Umfang der angebotenen Leistungen sowie der vorgesehene Ausführungszeitraum objektiv zumindest ernsthafte Zweifel daran weckten, ob die Klägerin mit dem ihr zur Verfügung stehenden Personal den Auftrag ordnungsgemäß und fristgerecht ausführen könne.

Das Berufungsgericht werde – gegebenenfalls mit sachverständiger Hilfe – zu prüfen haben, welcher Mindestpersonalbedarf aus ex-ante-Sicht objektiv erforderlich und erkennbar gewesen sei. Maßgeblich seien allein die personellen Anforderungen, deren Nichterfüllung einer ordnungsgemäßen Auftragserfüllung objektiv entgegenstehe. Nicht mitgeteilte, aus der Natur des Auftrags begründete personelle Anforderungen könnten dagegen nicht mit Zweckmäßigkeitserwägungen begründet werden, wie etwa der Minimierung von Betriebsstörungen. Dem Auftraggeber stehe es frei, seine Vorstellungen von einer zweckmäßigen Auftragsdurchführung transparent in den Vergabeunterlagen mitzuteilen.

Auch bei einem höheren Personalbedarf, so der BGH, spreche der Umstand, dass die Klägerin lediglich über zwei eigene Monteure verfüge und im Bedarfsfall ergänzend auf Leiharbeiter zurückgreifen wolle, noch nicht gegen eine Eignung der Klägerin.

Die Darlegungs- und Beweislast für in den Vergabeunterlagen nicht mitgeteilte Anforderungen an die Personalausstattung, die sich objektiv zwingend aus Art und Umfang der angebotenen Leistungen sowie dem vorgesehenen Ausführungszeitraum ergeben, liege beim Beklagten. Dagegen treffe die Klägerin die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass sie mit ihrem Angebot zulässige Eignungsanforderungen erfüllt habe. Dazu gehöre im Streitfall gegebenenfalls die Verfügbarkeit von Arbeitskräften, die die Klägerin von anderen Unternehmen hinzuziehen wolle.

Schließe der Auftraggeber einen Bieter zu Unrecht wegen Nichterfüllung nicht bekannt gemachter Eignungskriterien als ungeeignet aus und erteile den Auftrag einem anderen Bieter, stehe es dem Schadensersatzanspruch des ausgeschlossenen Bieters nicht entgegen, dass der Auftraggeber die Erfüllung und den Nachweis dieser Eignungskriterien in den Vergabeunterlagen hätte voraussetzen dürfen.

Praktische Auswirkungen:
Augen auf bei der Wahl der Eignungskriterien! Denn ein Auftraggeber darf nur Eignungskriterien bei der Eignungsprüfung der Bieter anwenden, die er zuvor in den Vergabeunterlagen genannt hat oder die sich nach Art und Umfang der zu erbringenden Leistungen sowie des vorgesehenen Ausführungszeitraums zwingend und für die Bieter transparent aus der Sache ergeben. Ein Ausschluss des Bieters ist – wenn Eignungskriterien nicht bekannt gemacht worden sind – nur ausnahmsweise möglich.


(Quelle: VOBaktuell Heft I/2021
Ass. jur. Anja Mundt)