Mehrvergütungsanspruch aus § 2 Abs. 5 und 6 VOB/B bemisst sich nach den tatsächlichen Mehr- oder Minderkosten

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KG: Mehrvergütungsanspruch aus § 2 Abs. 5 und 6 VOB/B bemisst sich nach den tatsächlichen Mehr- oder Minderkosten
Urteil des Kammergerichts – 21 U 160/18 – vom 27. August 2019

Leitsatz:
1. Bemessungsgrundlage des Mehrvergütungsanspruchs aus § 2 Abs. 5 und 6 VOB/B sind die tatsächlichen Mehr- oder Minderkosten, die dem Unternehmer aufgrund der Leistungsänderung entstehen, sofern die Parteien nichts Abweichendes vereinbart haben. 

2. Die Preiskalkulation des Unternehmers ist nur ein Hilfsmittel bei der Ermittlung dieser Kostendifferenz. Im Streitfall kommt es nicht auf die Kosten an, die der Unternehmer in seiner Kalkulation angesetzt hat, sondern auf diejenigen, die ihm bei Erfüllung des nicht geänderten Vertrags tatsächlich entstanden wären.

3. Allerdings dient die Kalkulation dazu, die Kosten anzugeben, die dem Unternehmer durch die Vertragsdurchführung entstehen. Daraus folgt: Soweit die Kalkulation, auf die sich ein Unternehmer in einem Rechtsstreit bezieht, unstreitig bleibt, ist die von ihm auf dieser Grundlage errechnete Mehrvergütung im Zweifel auf Grundlage seiner tatsächlichen Mehrkosten ermittelt und also maßgeblich nach § 2 Abs. 5 und 6 VOB/B.

4. Ist es nach der einem Vertrag zugrunde liegenden Leistungsbeschreibung unklar, ob der Unternehmer eine bestimmte Leistung in die vereinbarte Vergütung hätte einkalkulieren müssen, so gibt es keine allgemeine Regel, dass diese Unklarheit generell zu seinen Lasten oder umgekehrt zu Lasten des Bestellers zu lösen wäre. Maßgeblich ist vielmehr die Auslegung der Leistungsbeschreibung aus der Sicht einer objektiven Vertragspartei unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls.

Das Kammergericht hat mit diesem Urteil seine Rechtsprechung bestätigt, wonach Bemessungsgrundlage des Mehrvergütungsanspruchs aus § 2 Abs. 5 und 6 VOB/B die tatsächlichen Mehr- oder Minderkosten sind, die dem Unternehmer aufgrund der Leistungsänderung entstehen.

Sachverhalt:
Die öffentliche Auftraggeberin plante im Jahr 2013 den Umbau eines Bahnhofs. Es war vereinbart, dass die VOB/B Vertragsbestandteil ist. Zu den Ausschreibungsunterlagen gehörten unter anderem ein Leistungsverzeichnis über 1059 Seiten und diverse Pläne. Ausweislich der Pläne war die von der Auftragnehmerin zu errichtende Brückenkonstruktion an ihren Außenseiten jedenfalls teilweise durch gesonderte Bauteile aus Stahlbeton, sog. Randkappen abzuschließen. Alle Randkappen sollten im Querschnitt eine Vertiefung aufweisen, sodass sie einen parallel zu den Gleisen verlaufenden Kabelkanal ausbildeten. Auf sämtlichen Querschnitten war über dem Kabelkanal eine Abdeckung eingetragen. Im Leistungsverzeichnis hingegen war lediglich in 2 Titeln eine weitere Leistungsposition über die Herstellung der Abdeckung des Kabelkanals in Fertigbeton enthalten. In den übrigen vier Titeln wurde die Herstellung von Abdeckungen für die Randkappen nicht extra genannt. In den Plänen wurde aber auch für diese Randkappen eine Abdeckung ausgewiesen. Bereits während der Ausführung hatte die Auftraggeberin der Auftragnehmerin mitgeteilt, dass auch bei den Randkappen der vier Titel, für die im Leistungsverzeichnis keine Abdeckung ausgewiesen war, der Kabelkanal abzudecken sei. Die Auftragnehmerin zeigte der Auftraggeberin an, dass durch die Abdeckung der übrigen Kabelkanäle Mehrkosten entstehen würden und legte ihr ein entsprechendes Nachtragsangebot vor. Hierbei leitete sie die Höhe der Mehrvergütung anhand ihrer Kalkulation her. Die Auftraggeberin widersprach der Zahlung einer zusätzlichen Nachtragsvergütung.

Entscheidungsgründe:
Das Kammergericht hat der Auftragnehmerin eine zusätzliche Vergütung aus § 2 Abs. 6 VOB/B zugesprochen. Indem die Auftraggeberin die Auftragnehmerin zur Ausführung dieser Abdeckungen aufforderte, verlangte sie von ihr eine zusätzliche Leistung gemäß § 2 Abs. 6 VOB/B. Entgegen der Auffassung der Auftraggeberin waren die Abdeckungen bei den Bauteilen, wo die Abdeckungen nicht im Leistungsverzeichnis genannt waren, nicht in die von den Parteien bei Auftragserteilung vereinbarte Vergütung einzupreisen. Da im Leistungsverzeichnis an zwei Stellen eine Abdeckung der Randkappen aufgeführt war, diese an anderer Stelle im Leistungsverzeichnis aber fehlte, durfte die Auftragnehmerin annehmen, dass die Abdeckung dort nicht ausgeführt werden sollte, so das Kammergericht. Da auch der Widerspruch zwischen Leistungsverzeichnis und Plänen nicht derart deutlich und bedeutsam war, dass er der Auftragnehmerin hätte ins Auge springen müssen, konnte die Auftragnehmerin eine zusätzliche Vergütung verlangen, das Kammergericht feststellend.

Hinsichtlich der Höhe des Mehrvergütungsanspruchs aus § 2 Abs. 5 und 6 VOB/B sind nach Auffassung des Senats die tatsächlichen Mehr- oder Minderkosten, die dem Unternehmer aufgrund der Leistungsänderung entstehen, maßgeblich. Hieraus folge aber keineswegs, dass die Kalkulation der Auftragnehmerin damit ohne Belang wäre. Wenn der Unternehmer auch die durch die Leistungsänderung bedingten Kosten der geänderten Leistung kalkuliert haben sollte, so könne er auch insoweit auf seine Kalkulation Bezug nehmen. Die Mehrkosten sind dann im Ergebnis gemäß der Kalkulation zu ermitteln, aber nicht, weil die Kalkulation im Streitfall maßgeblich ist, sondern weil sie unstreitig geblieben ist und bessere Erkenntnisse über ihre tatsächlichen Kosten fehlen, so das Kammergericht. Ist die Preisermittlung zwischen den Parteien hingegen umstritten, kommt es nicht auf die Kosten an, die der Unternehmer in seiner Kalkulation angesetzt hat, sondern auf diejenigen, die ihm bei Erfüllung des nicht geänderten Vertrages tatsächlich entstanden wären bzw. aufgrund der Leistungsänderung tatsächlich entstanden sind, so das Kammergericht erläuternd. Zur Berechnung dieser Differenz könne die Kalkulation aber ein Hilfsmittel sein.

Fazit:
Das Kammergericht hat im Ergebnis – auch wenn es auf die tatsächlichen Kosten abgestellt hat – die Mehrkosten anhand der Kalkulation ermittelt. Dies hat es damit begründet, dass im Streitfall die Kalkulation unstreitig geblieben ist und bessere Erkenntnisse über die tatsächlichen Kosten fehlten. Mangels Bestreiten der Kalkulation sei daher davon auszugehen, dass die Kalkulation die der Auftragnehmerin durch die Leistung entstehenden tatsächlichen Kosten zutreffend wiedergibt. Aus Sicht des Kammergerichts kommt vorliegend daher die Preisermittlung anhand tatsächlicher Mehrkosten zu demselben Ergebnis wie die „vorkalkulatorische Preisfortschreibung“.

Reaktionen:
Das vorgenannte Urteil des Bundesgerichtshofs nimmt der Hauptausschuss Allgemeines im Deutschen Vergabe- und Vertragsausschuss (DVA) zum Anlass, um in einen Meinungsaustausch über den Anpassungsbedarf in der VOB/B einzusteigen. Hierbei soll geprüft werden, ob und in welcher Form Anpassungsbedarf durch das Urteil des Bundesgerichtshofs sowie durch die Reform des Bauvertragsrechts gesehen wird.
 

(Quelle: VOBaktuell Heft 1/2020
RA Dr. Philipp Mesenburg und RÄ Dunja Salmen)