Mehr- und Minderkosten nach § 2 Abs. 5 und 6 VOB/B sind anhand tatsächlich erforderlicher Kosten zu berechnen
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Mehr- und Minderkosten nach § 2 Abs. 5 und 6 VOB/B sind anhand tatsächlich erforderlicher Kosten zu berechnen
Urteil des OLG Köln – 11 U 136/18 – Urteil vom 3. Februar 2021 (nicht rechtskräftig; Revision: BGH, Az: VII ZR 191/21)
Leitsatz:
1. Zu den Mehr- und Minderkosten einer geänderten oder zusätzlichen Leistung gehören auch die Kosten eines Stillstands von Baugeräten, die zur Ausführung anderer Leistungspositionen (Folgegewerke) benötigt werden, wenn sich diese aufgrund der geänderten oder zusätzlichen Leistung zeitlich verschieben.
2. Auch in § 2 Abs. 5 und 6 VOB/B ist nicht geregelt, wie die Vergütungsanpassung bei geänderten oder zusätzlichen Leistungen zu ermitteln ist, wenn die Parteien hierüber keine Einigung getroffen haben.
3. Haben die Parteien über die Vergütung für geänderte oder zusätzliche Leistungen, deren Ermittlung oder einzelne Preiselemente keine Einigung getroffen, enthält der Vertrag eine Regelungslücke, die im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zu füllen ist. Es entspricht – ebenso wie im Falle von Mengenmehrungen gem. § 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B – der Redlichkeit und dem bestmöglichen Interessenausgleich, die Vergütung nach den tatsächlich erforderlichen Kosten zuzüglich angemessener Zuschlägen für Allgemeine Geschäftskosten sowie Wagnis und Gewinn zu ermitteln.
4. Hält der Auftraggeber im Rahmen der Berechnung eines Nachtrags nach § 2 Abs. 5 oder 6 VOB/B eine Kostenposition schon im Grundsatz für nicht ersatzfähig (hier Kosten aufgrund der bauzeitlichen Auswirkungen auf andere Leistungspositionen), kann eine ausdrückliche oder stillschweigende Einigung der Parteien auf die Berechnung dieser Kosten regelmäßig nicht angenommen werden.
Das OLG Köln hat sich mit der Frage auseinandergesetzt, wie die Vergütungsanpassung bei geänderten oder zusätzlichen Leistungen gemäß § 2 Abs. 5 und 6 VOB/B zu ermitteln ist, wenn die Parteien hierüber keine ausdrückliche Einigung getroffen haben. Dies umfasst auch die Kosten eines Stillstands von Baugeräten, die zur Ausführung anderer Leistungspositionen (Folgegewerke) benötigt werden, wenn sich diese aufgrund der geänderten oder zusätzlichen Leistung zeitlich verschieben.
Sachverhalt:
Der Beklagte beauftragte die Klägerin unter Einbeziehung der VOB/B mit dem Gewerk Schadstoffsanierung und Abbrucharbeiten. Dieser Bauteil bestand aus zwei Gebäudeteilen, dem Wirtschaftsgebäude (Bauabschnitt 1) und dem Zellentrakt (Bauabschnitt 2). Dem Vertrag lag ein bauseits erstelltes Schadstoffgutachten zugrunde. In einem ersten Arbeitsschritt sollte zunächst das Wirtschaftsgebäude saniert und zurückgebaut und parallel dazu die Schadstoffsanierung des Zellentraktes erfolgen, damit dieses sofort nach dem Rückbau des Wirtschaftsgebäudes ebenfalls zurückgebaut werden konnte. Im Rahmen der Arbeiten zum ersten Bauabschnitt fand sich dann eine asbesthaltige Rohrisolierung im Dach, die saniert werden musste, bevor der Abbruch des Gebäudes weitergeführt werden konnte. Die Mehrkosten hierfür wurden von dem ausführenden Unternehmen im Rahmen eines Nachtragsangebots geltend gemacht und von der Auftraggeberin im Großen und Ganzen akzeptiert. Im Folgenden stellte sich ferner heraus, dass im Bereich des zweiten Bauabschnittes Mehrleistungen im Zellentrakt wegen der im Verhältnis zu dem Schadstoffgutachten erheblich höheren Asbestbelastung von PVC-Böden und asbesthaltigen Klebers notwendig werden würden. Der asbestbelastete PVC-Boden konnte nicht wie geplant durch bloßes Befeuchten der betroffenen Stellen sowie durch die Verwendung von Flächenschleifmaschinen, sondern nur in einem wesentlich aufwändigeren, konventionellen Verfahren bei Unterdruck und durch den Einsatz von Handschleifgeräten entfernt werden. Dies hatte zur Folge, dass der Abbruch des Zellentraktes nicht im direkten Anschluss an den Abbruch des Wirtschaftsgebäudes, sondern erst nach einem 32-tägigen Stillstand erfolgen konnte. Die hierdurch entstehenden Mehrkosten für die Sanierungen im Zellentrakt wurden durch das ausführende Unternehmen in einem Nachtragsangebot angeboten sowie von dem Auftraggeber geprüft und beauftragt. Die im Rahmen des Nachtragsangebots geltend gemachten Vorhaltekosten für zwei Kettenbagger und einen Radlader akzeptierte der Beklagte hingegen nicht. Diese Vorhaltekosten wegen des eingetretenen Baustillstands sind Gegenstand der von dem Unternehmen erhobenen Klage.
Das Landgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, dass für Ansprüche, die aufgrund von Baustillstand entstehen, dem System der VOB/B nach allein die im Verhältnis zu §§ 2 Abs. 5 und 6 VOB/B speziellere Vorschrift des § 6 Abs. 6 VOB/B einschlägig sei. Dies gelte auch dann, wenn die zusätzlichen Kosten als indirekte Folge der Durchführung einer angeordneten zusätzlichen Leistung entstehen würden. Stillstandskosten könnten auch nicht mit Nachtragsbearbeitungskosten gleichgesetzt werden. Zu den Voraussetzungen des § 6 Abs. 6 VOB/B fehle es hingegen an einem substantiierten Vortrag des Unternehmens sowie an einer konkreten bauablaufbezogenen Darstellung. Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des ausführenden Unternehmens mit der Begründung, dass die rechtliche Grundlage für die Geltendmachung der Vorhaltekosten in § 2 Abs. 5 und 6 VOB/B zu finden sei. Denn der eingetretene Baustillstand beruhe auf der durch den Auftraggeber vorgenommenen Änderung des Bausolls.
Aus den Gründen:
Nach Auffassung des Senats ist der Beklagte verpflichtet, an die Auftragnehmerin Kosten für den eingetretenen Gerätestillstand gem. § 631 BGB i. V. m. §§ 2 Abs. 5 und 6 VOB/B zu zahlen. Auf das zwischen den Parteien geltende Schuldverhältnis findet das BGB in der bis zum 31.12.2017 geltenden Fassung sowie die in das Vertragsverhältnis einbezogene VOB/B in der Fassung 2012 Anwendung.
Unstreitig seien im Rahmen der Arbeiten zur Schadstoffsanierung und zum Abbruch im Bereich des Flügels E der JVA K auf Anordnung des Beklagten durch die Klägerin abweichend von dem vereinbarten Bausoll zusätzliche bzw. von der ursprünglich vorgesehenen Art ihrer Ausführung abweichende Leistungen erbracht worden. Ebenfalls stehe zwischen den Parteien außer Streit, dass der Klägerin hieraus erhöhte Material- und Lohnkosten zustehen. Diese fänden ihre Rechtsgrundlage hinsichtlich der zusätzlich notwendig gewordenen Sanierung der nachträglich aufgefundenen Rohrisolierung im Dach in § 2 Abs. 6 VOB/B i. V. m. § 1 Abs. 4 VOB/B und hinsichtlich der von der Baubeschreibung abweichenden Sanierung der PVC-Böden in § 2 Abs. 5 VOB/B i. V. m. § 1 Abs. 3 VOB/B.
Die Klägerin könne von der Beklagten aber gem. §§ 2 Abs. 5 und 6 VOB/B auch die Zahlung der Kosten für die zusätzliche Vorhaltung von Baugeräten verlangen. Diese Kosten seien auf Anordnung des Beklagten durch geänderte bzw. zusätzliche Leistungen im Zuge der dem Abbruch vorhergehenden Schadstoffsanierung entstanden. Bisher sei höchstrichterlich noch nicht entschieden, ob und wenn ja nach welchen Rechtsgrundsätzen der durch eine rechtmäßige Änderungsanordnung des Auftraggebers gem. §§ 1 Abs. 3, 4 VOB/B, § 4 Abs. 1 Nr. 3 VOB/B verursachte zeitliche Mehraufwand zu vergüten ist. Ebenfalls sei ungeklärt, ob von dem in diesem Fall entstehenden Mehrvergütungsanspruch des Auftragnehmers gem. §§ 2 Abs. 5, 6 VOB/B nur der unmittelbare zeitliche Mehraufwand für die Erbringung einer aufwändigeren oder zusätzlichen Leistung oder auch derjenige erfasst ist, der darüber hinaus (mittelbar) durch eine hierdurch eintretende Störung des Bauablaufs – etwa in Form von Stillstandskosten – entsteht.
Übt der Auftraggeber rechtmäßig sein vertragliches Leistungsbestimmungsrecht nach § 1 Abs. 3 oder § 1 Abs. 4 VOB/B aus und führen die geänderten oder zusätzlichen Leistungen zu einem zeitlichen Mehraufwand, so kann der Auftragnehmer daher die hierdurch verursachten Kosten allein als Vergütungsansprüche nach § 2 Abs. 5 bzw. § 2 Abs. 6 VOB/B geltend machen. Der Anspruch aus § 2 Abs. 5 und 6 VOB/B erfasst auch solche Mehrkosten, die sich aus den Auswirkungen der geänderten oder zusätzlichen Leistung auf die Bauzeit ergeben, so das OLG Köln. Die §§ 2 Abs. 5 und 6 VOB/B sähen für die Fälle von Anordnungen i. S. d. §§ 1 Abs. 3 und 4 VOB/B ausdrücklich die Bildung eines neuen Preises vor, der folgerichtig auch die mit den Änderungen nur mittelbar einhergehenden Verzögerungswirkungen einschließt. Dementsprechend habe auch der Bundesgerichtshof ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der vertragliche Vergütungsanspruch bei einer notwendigen Veränderung der Bauzeit in Anlehnung an die Grundsätze des § 2 Abs. 5 VOB/B anzupassen sei. Durch den hier gewählten rechtlichen Ansatz entstehe schließlich auch keine ungerechtfertigte Differenzierung zwischen den Fällen der „echten Störung“ einerseits und der veränderten Bauausführung andererseits. Denn der entscheidende Unterschied zwischen einer anordnungsbedingten Mehrleistung und einer bloßen Behinderung i. S. d. § 642 BGB in Form einer verspäteten Freigabe der Abbrucharbeiten besteht nach Auffassung des OLG Köln darin, dass die eingetretenen Verzögerungen nicht lediglich auf durch eine unterbliebene Mitwirkungshandlung des Beklagten herbeigeführte Bauumstände, sondern auf seiner aktiven Einwirkung auf das Bausoll zurückgehen. Die Berechnung der gem. §§ 2 Abs. 5, 6 VOB/B zu vergütenden Stillstandskosten ist nach den Ausführungen des Senats auf der Basis der tatsächlich erforderlichen Mehr- und Minderkosten zuzüglich angemessener Zuschläge entsprechend den Grundsätzen des § 650c BGB vorzunehmen.
Das OLG Köln hat die Revision mit der Begründung zugelassen, dass bei den Fragen, ob im Falle einer Änderungsanordnung gem. §§ 1 Abs. 3, 4 VOB/B auch Gerätestillstandskosten als Teil des Mehrvergütungsanspruches gem. §§ 2 Abs. 5, 6 VOB/B anzusehen und ob in diesem Fall die Abrechnung ebenfalls auf der Grundlage der tatsächlichen Mehrkosten oder vorkalkulatorisch zu berechnen sind, es sich um grundsätzliche Rechtsprobleme handelt, zu denen der Bundesgerichtshof bislang noch keine Gelegenheit zur Stellungnahme hatte.
Anmerkung:
Dieses Urteil schlägt den gleichen Weg ein wie auch bereits die Urteile des Kammergerichts (Az: 21 U 160/18 – Urteil vom 27. August 2019) und des Bundesgerichtshofs (Az: VII ZR 34/18 – Urteil vom 8. August 2019), über die in der Ausgabe VOB-Aktuell I/2020 berichtet wurde. Auch nach diesem Urteil bemisst sich im Falle von geänderten oder zusätzlichen Leistungen die Vergütung nach den tatsächlich erforderlichen Kosten zuzüglich angemessener Zuschläge für Allgemeine Geschäftskosten sowie Wagnis und Gewinn. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die Parteien über die Vergütung für geänderte oder zusätzliche Leistungen keine Einigung getroffen haben.
Zudem hat sich das OLG Köln mit der Frage befasst, ob im Falle einer Änderungsanordnung gem. §§ 1 Abs. 3, 4 VOB/B auch Gerätestillstandskosten als Teil des Mehrvergütungsanspruches gem. §§ 2 Abs. 5, 6 VOB/B anzusehen sind und ob in diesem Fall die Abrechnung ebenfalls auf der Grundlage der tatsächlichen Mehrkosten erfolgt. Da diese Frage bislang höchstrichterlich noch nicht entschieden wurde, hat es insoweit die Revision zum Bundesgerichtshof zugelassen.
(Quelle: VOBaktuell Heft II/2021
RA Dr. Philipp Mesenburg und RÄ Dunja Salmen)