Keine Mindestanforderung an die Geschäftstätigkeit bei Umsatzabfrage in den letzten drei Geschäftsjahren unter Verzicht auf eine Mindestumsatzangabe

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Keine Mindestanforderung an die Geschäftstätigkeit bei  Umsatzabfrage in den letzten drei Geschäftsjahren unter Verzicht auf eine Mindestumsatzangabe
Beschluss des OLG Dresden – Verg 5/20 vom 5. Februar 2021

Der Auftraggeber fordert nicht allein dadurch eine mindestens dreijährige Geschäftstätigkeit der Bieter, dass er in einem Formblatt den Umsatz des Unternehmens in den letzten drei abgeschlossenen Geschäftsjahren abfragt, ohne dass gleichzeitig ein Mindestumsatz abgegeben werden muss.

Erklärt ein Bieter, in den letzten fünf Kalenderjahren vergleichbare Leistungen ausgeführt zu haben, enthält dies nicht die Erklärung, er habe in jedem der letzten fünf Kalenderjahre derartige Leistungen ausgeführt.

In der Entscheidung des OLG Dresden ging es um die Frage, ob die Abfrage des Umsatzes der letzten drei Geschäftsjahre konkludent die Forderung enthält, dass in dieser Zeit auch ein Geschäftsbetrieb vorlag.

Sachverhalt:
Laut der EU-Bekanntmachung für das Offene Verfahren hatten die Bieter ihre Eignung für die streitgegenständlichen Bauleistungen durch eine Eintragung in die Liste des Vereins für Präqualifikation von Bauunternehmen e. V. (Präqualifikationsverzeichnis) oder durch eine Eigenerklärung gemäß Formblatt 124 (Eigenerklärungen zur Eignung) nachzuweisen. Nicht präqualifizierte Bieter, deren Angebot in die engere Wahl gelangt, mussten die im Formblatt angegebenen Bescheinigungen innerhalb einer gesetzten angemessenen Frist nach Aufforderung vorlegen.

Die Antragstellerin reichte mit ihrem Angebot das Formblatt 124 ein. Darin gab sie unter der Rubrik „Umsatz des Unternehmens in den letzten drei abgeschlossenen Geschäftsjahren, soweit er Bauleistungen und andere Leistungen betrifft, die mit der zu vergebenden Leistung vergleichbar sind unter Einschluss des Anteils bei gemeinsam mit anderen Unternehmen ausgeführten Leistungen“ dreimal „0 Euro“ an. Ferner bestätigte sie, dass sie in den letzten fünf Kalenderjahren bzw. dem in der Auftragsbekanntmachung angegebenen Zeitraum vergleichbare Leistungen ausgeführt hat. Für den Fall, dass ihr Angebot in die engere Wahl kommt, gab sie entsprechend der Vorlage an, drei Referenznachweise vorzulegen.

Ihrem Angebot fügte die Antragstellerin zudem einen Handelsregisterauszug und die Gewerbeanmeldung bei. Daraus ging hervor, dass sie ihre Geschäftstätigkeit am 1. August 2019 aufgenommen hatte.

Einziges Zuschlagskriterium war vorliegend der Preis. Das Angebot der Antragstellerin war das preisgünstigste vor dem Angebot der Beigeladenen. Dennoch beabsichtigte der Auftraggeber, den Zuschlag auf das Angebot der Beigeladenen zu erteilen. Er könne das Angebot der Antragstellerin nicht berücksichtigen, weil die Antragstellerin nicht die geforderten Eignungsnachweise entsprechend dem Formblatt 124 übermittelt habe. Der Nachweis (des vergleichbaren Umsatzes) der letzten drei abgeschlossenen Geschäftsjahre sei nicht erbracht worden, da das Unternehmen erst seit dem 1. August 2019 bestehe bzw. für diese Tätigkeit eingetragen worden sei.

Die Antragstellerin rügte den Angebotsausschluss als vergaberechtswidrig. Als erst seit August 2019 am Markt tätiges Unternehmen habe sie bei Angebotsabgabe keine Umsätze aus einem abgeschlossenen Geschäftsjahr erzielt und daher im Formblatt „0 Euro“ angegeben.

Nachdem der Auftraggeber die Rüge zurückgewiesen hatte, weil das Angebot der Antragstellerin seiner Ansicht nach zwingend auszuschließen war, da diese trotz der Vorgabe einer mindestens dreijährigen Geschäftstätigkeit als Eignungskriterium (§ 6a EU Nr. 2c VOB/A) in der Ausschreibung eine vergleichbare Geschäftstätigkeit nicht vorweisen konnte, beantragte die Antragstellerin die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens bei der Vergabekammer.

Die Vergabekammer hielt den Nachprüfungsantrag für begründet. Dagegen hat der Auftraggeber erfolglos sofortige Beschwerde vor dem Oberlandesgericht Dresden eingelegt.

Aus den Gründen:
Das OLG erachtet den Nachprüfungsantrag der Antragstellerin ebenfalls für begründet und den Ausschluss des Angebotes der Antragstellerin wegen fehlender Eignung nach § 16b EU Abs. 1 VOB/A für rechtswidrig, weil das Eignungskriterium einer bereits mindestens dreijährigen Geschäftstätigkeit der Bieter auf dem von der Ausschreibung betroffenen Gebiet nicht in der Auftragsbekanntmachung enthalten ist.

Nach § 122 Abs. 1 GWB und §§ 2 EU Abs. 3, 16b EU Abs. 1 VOB/A dürften Aufträge (nur) an geeignete Unternehmen vergeben werden. Dafür könne der Auftraggeber Eignungskriterien festlegen, die in der Ausschreibung aufzuführen Dabei werde auch festgelegt, welche Unterlagen der Auftraggeber zum Nachweis der Eignung fordern darf (§ 6a EU VOB/A). Möglich sei nach § 122 Abs. 3 GWB der Eignungsnachweis über ein Präqualifizierungssystem (§§ 48 Abs. 8 VgV, 6b EU Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VOB/A), wobei in solchen Fällen die Alternative der einzelnen Nachweisführung bestehe.

Vorliegend habe der Auftraggeber bestimmt, dass die Bieter ihre Eignung durch Eintragung im Präqualifikationsverzeichnis oder durch Eigenerklärungen im Formblatt 124 nachzuweisen hätten. Dabei müsse aus dem Umfang der von den Bietern vorzulegenden Unterlagen und abzugebenden Erklärungen auf den Inhalt des Eignungskriteriums geschlossen werden. Zu beachten sei, dass der Erklärungswert von Angebotsunterlagen anhand der Grundsätze der §§ 133, 157 BGB zu ermitteln sei.

In Anbetracht der drohenden Ausschlusssanktion müsse für Bieter aus den Vergabeunterlagen eindeutig und unmissverständlich hervorgehen, welche Voraussetzungen sie erfüllen müssen, um den Auftrag erhalten zu können und welche Erklärungen und Nachweise hierzu verlangt werden. Die Vergabeunterlagen müssten klar und eindeutig formuliert sein, Widersprüche vermieden werden. Für dennoch auslegungsbedürftige Vergabeunterlagen sei der objektive Empfängerhorizont potenzieller Bieter maßgeblich.

Die Auslegung der Angebotsunterlagen einschließlich des Inhaltes des Formblattes 124 ergebe nach Ansicht des OLG vorliegend nicht, dass eine mindestens dreijährige Geschäftstätigkeit der Bieter auf dem Gebiet der ausgeschriebenen Leistungen als Eignungskriterium festgelegt wurde. Der Wortlaut der Abfrage des Umsatzes des Unternehmens in den letzten drei abgeschlossenen Geschäftsjahren im Formblatt 124, ohne dass die Angabe eines Mindestumsatzes gefordert wurde, erlaube den Bietern die Eintragung der Zahl „0“, sodass damit keine Festlegung einer Mindestanforderung für die Geschäftstätigkeit verbunden gewesen sei.

Die Festlegung des Eignungskriteriums „mindestens dreijährige Geschäftstätigkeit“ der Bieter ergebe sich auch nicht aus dem Umstand, dass das Formblatt 124 Anforderungen an die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit der Bieter gestellt habe und deswegen ohne Weiteres deutlich gewesen sei, dass diese Anforderungen nur von Unternehmen mit mindestens dreijähriger Geschäftstätigkeit bei vergleichbaren Leistungen hätten erfüllt werden können. Denn es werde eben nicht nach der Geschäftstätigkeit, sondern nach dem Umsatz gefragt, ohne dass die Bieter daraus eindeutig erkennen könnten, dass die Angabe eines einschlägigen Umsatzes – zumal in beliebiger Höhe – in jedem der letzten drei Geschäftsjahre als zwingende Eignungsvoraussetzung angesehen werde. Weder aus der Auftragsbekanntmachung noch aus dem Formblatt 124 ergebe sich zweifelsfrei, ob ein i. S. d. Auftraggebers verstandener Eignungsnachweis als Beleg der wirtschaftlichen und finanziellen oder der technischen und beruflichen Leistungsfähigkeit zuzuordnen wäre. In der Auftragsbekanntmachung werde sowohl für die wirtschaftliche und finanzielle als auch für die technische und berufliche Leistungsfähigkeit in gleicher Weise auf entweder die Eintragung im Präqualifikationsverzeichnis oder auf die Eigenerklärung gemäß Formblatt 124 Bezug genommen. Die Zuordnung der angeblich fehlenden Erklärung der Antragstellerin zu ihrer wirtschaftlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit ergebe sich eindeutig erst aus dem Inhalt des Informationsschreibens des Auftraggebers, in dem er den Angebotsausschluss auf seine Zweifel an der Eignung in Bezug auf die wirtschaftliche und finanzielle Leistungsfähigkeit stützt. Die Antragstellerin habe daher nicht von sich aus eine Eignungsanforderung „einschlägige Geschäftstätigkeit von zumindest drei Jahren“ in das vom Auftraggeber verwendete Formblatt 124 „hineinlesen“ müssen.

Auch die Gesamtschau der im Formblatt 124 geforderten Angaben zu den Umsätzen einerseits i. V. m. den weiteren Angaben des Bieters zu „Leistungen, die mit der zu vergebenden Leistung vergleichbar sind“ andererseits ergebe keine andere Beurteilung.

Richtig sei zwar, dass die Antragstellerin mit ihrer Unterschrift unter das Formblatt 124 auch erklärt habe, in den letzten fünf Kalenderjahren vergleichbare Leistungen ausgeführt zu haben und sich verpflichte, für den Fall, dass ihr Angebot in die engere Wahl komme, drei Referenznachweise vorzulegen. Aus diesen Erklärungen folge aber gerade nicht, dass ein Bieter eine mindestens dreijährige einschlägige Geschäftstätigkeit vorzuweisen habe, weil er mit den zusätzlichen Erklärungen nur bekunde, dass er überhaupt Leistungen ausgeführt habe, die mit denen in der Auftragsbekanntmachung vergleichbar seien. Dagegen erkläre der Bieter nicht, in jedem der letzten fünf Kalenderjahre solche Leistungen ausgeführt zu haben. Der Verpflichtung zur Vorlage von mindestens drei Referenznachweisen werde man zwar entnehmen können, dass der Bieter diese Anzahl von Arbeiten erledigt habe, nicht aber, dass die betreffenden Tätigkeiten innerhalb der letzten drei (oder fünf) abgeschlossenen Geschäftsjahre erfolgt seien. Sinn und Zweck der Vorgabe sei vielmehr, zu verhindern, dass Referenzen aus noch weiter zurückliegenden Jahren vorgelegt werden.

Praktische Auswirkungen:
Auftraggeber werden daran erinnert, dass missverständliche Vergabeunterlagen grundsätzlich zu ihren Lasten gehen. Will der Auftraggeber eine Mindestanforderung für die Geschäftstätigkeit der Bieter festlegen, so sollte er dies ausdrücklich tun.


(Quelle: VOBaktuell Heft III/2021
Ass. jur. Anja Mundt)