Einstellung von Nachrichten in das Postfach eines Bieters auf einer Vergabeplattform gilt als Zugang
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Einstellung von Nachrichten in das Postfach eines Bieters auf einer Vergabeplattform gilt als Zugang
Beschluss der Vergabekammer Westfalen – VK 1-09/21 vom 31. März 2021
Die Einstellung von Nachrichten (hier: Nachforderung von Unterlagen unter Fristsetzung) in das Postfach eines Bieters auf einer Vergabeplattform gilt als Zugang, weil diese Nachricht oder Willenserklärung so in den Machtbereich des Empfängers gelangt ist, dass dieser unter normalen Umständen Kenntnis davon nehmen kann.
(Amtlicher Leitsatz)
In der Entscheidung der Vergabekammer ging es um die Frage, ob die Einstellung einer Nachricht, mit den Unterlagen unter Fristsetzung nachgefordert wurden, in das Postfach eines Bieters auf einer Vergabeplattform als Zugang gilt.
Sachverhalt:
Die Auftraggeberin schrieb Fassaden- und Fensterarbeiten nach der VOB/A in einem offenen Verfahren aus. Laut Aufforderung zur Angebotsabgabe (Formblatt 211 EU VHB) sollte die Kommunikation ausschließlich elektronisch über die Vergabeplattform erfolgen. Mit Schreiben vom 09.02.2021 forderte die Auftraggeberin über die Vergabeplattform von der Antragstellerin gemäß § 16a EU VOB/A Unterlagen nach, die bis zum 15.02.2021 vorzulegen waren, u. a. Angaben zur Preisermittlung und Referenzen sowie andere Bescheinigungen. Da die Antragstellerin auf die Aufforderung zur Nachreichung von Unterlagen nicht reagierte, schloss die Auftraggeberin sie vom Wettbewerb aus. Am 17.02.2021 erhielt die Antragstellerin eine auftraggeberseitige E-Mail mit dem Hinweis, dass sie ein Anschreiben auf dem Portal abrufen könne. Aus diesem Anschreiben ergab sich, dass die Auftraggeberin ihr Angebot ausgeschlossen hatte.
Die Antragstellerin legte sofort die nachgeforderten Unterlagen vor und beantragte die Nachprüfung. Sie ist der Ansicht, die Nachforderung der Unterlagen sei ihr erst am 17.02.2021 zugegangen.
Nach Ansicht der Vergabekammer ist der Nachprüfungsantrag unbegründet.
Aus den Gründen:
Die Auftraggeberin habe nicht gegen § 97 Abs. 6 GWB verstoßen. Der Angebotsausschluss sei rechtmäßig nach § 16a EU VOB/A erfolgt, weil die Auftraggeberin von der Antragstellerin mit Schreiben vom 09.02.2021 die Vorlage etlicher Unterlagen bis zum 15.02.2021 nachgefordert habe und die Antragstellerin diese Frist versäumt habe, weil sie erst am 17.02.2021 Kenntnis von dem Schreiben erhalten habe.
Gemäß § 16a EU VOB/A könne ein Auftraggeber fehlende Nachweise nachfordern. Diese seien spätestens innerhalb von sechs Kalendertagen nach der Nachforderung vorzulegen. Erfolge die Vorlage nicht innerhalb dieser Frist, sei das Angebot auszuschließen.
Ausgehend von §§ 9, 10 und 11 VgV (i. V. m. § 2 VgV) lege der öffentliche Auftraggeber fest, wie die Kommunikation in einem Vergabeverfahren zu erfolgen habe. Er müsse dabei elektronische, allgemein verfügbare Mittel einsetzen, die den Zugang von Bietern zum Vergabeverfahren nicht einschränken dürfen.
Gemäß § 9 Abs. 3 VgV könne der Auftraggeber wie hier von jedem Unternehmen die Angabe einer eindeutigen Unternehmensbezeichnung sowie einer elektronischen Adresse für die Registrierung des Unternehmens verlangen. Die vom Auftraggeber gewählte Plattform sei auch allgemein zugänglich und werde in Ausschreibungen wiederholt als Kommunikationsmedium eingesetzt. Zwar gebe es auf dem Markt eine Vielzahl von Plattformen, auf denen Bieter sich durch eine Registrierung anmelden müssten. Das Fortschreiten der Digitalisierung führe aber unweigerlich dazu, dass diese Kommunikationsmedien genutzt werden müssten, auch wenn sich dadurch der Umfang der Nachrichten, Informationen und Daten vervielfache.
Die Antragstellerin habe sich nach § 311 Abs. 2 i. V. m. § 241 Abs. 2 BGB auf die elektronische Registrierung eingelassen und mit der Registrierung ihre E-Mail-Adresse bekannt gegeben. Sie habe durch die Registrierung ein eigenes „Bieterpostfach“ auf der Plattform erhalten, das nur sie habe einsehen können. Lasse sich ein Bieter bei Vertragsanbahnung auf bestimmte Verfahrensweisen ein, müsse er sich auch daran festhalten lassen. Mit der Registrierung habe die Antragstellerin der Auftraggeberin vorliegend signalisiert, dass sie mit der Einstellung von Nachrichten in „ihr Bieterpostfach“ einverstanden sei.
Mit Einstellung ihrer Nachricht vom 09.02.2021 habe die Auftraggeberin eine Nachricht an die Antragstellerin i. S. v. § 16a EU VOB/A versandt, die eine empfangsbedürftige Willenserklärung i. S. v. § 130 Abs. 1 BGB darstelle. Eine Willenserklärung müsse so in Richtung des Empfängers in den Verkehr gebracht werden, dass unter normalen Umständen mit dem Zugang zu rechnen sei. Das Einstellen einer Nachricht in ein Postfach des Bieters auf einer E-Vergabeplattform genüge diesen Anforderungen und bedeute, dass die Willenserklärung abgegeben worden sei.
Zugegangen sei eine Willenserklärung, wenn sie so in den Machtbereich des Empfängers gelangt sei, dass dieser unter normalen Umständen Kenntnis davon nehmen könne, z. B. wenn die Nachricht in einen Briefkasten eingeworfen oder einem Bieter in sein E-Mail-Postfach übermittelt werde.
Der Eingang der Nachricht in einem Postfach des Bieters auf der Plattform des öffentlichen Auftraggebers bewirke, dass dem Bieter die Nachricht zugegangen sei. Denn das individuell für den Bieter eingerichtete Postfach gehöre zu seinem Machtbereich, weil er diese Sphäre beherrschen könne. Sofern sich ein Bieter einen Account auf einer E-Vergabeplattform durch Registrierung anlege, bestimme er damit zugleich, dass dieses Postfach für den Empfang von Erklärungen an ihn genutzt werden könne.
Die regelmäßige Abfrage bzw. Kontrolle aller elektronischen Kommunikationssysteme, u. a. der eigenen Postfächer, gehöre für Unternehmen zum Verantwortungsbereich eines Gewerbetreibenden und sei vergleichbar mit der regelmäßigen Kontrolle eingehender Briefe oder Faxe. Daher hätte die Antragstellerin die Nachricht der Auftraggeberin ohne Weiteres abrufen und beantworten können. Da dies nicht innerhalb der gesetzten Frist erfolgte, sei das Angebot zwingend auszuschließen gewesen.
Praktische Auswirkungen:
Die Vergabekammer stellt klar: Ein Bieter, der sich auf einer Vergabeplattform elektronisch registriert und ein eigenes „Bieterpostfach“ auf der Plattform erhält, das nur er einsehen kann, bringt damit sein Einverständnis mit der Verfahrensweise zum Ausdruck. Daran müsse er sich auch festhalten lassen. Mit der Registrierung signalisiert der Bieter dem Auftraggeber, dass er mit der Einstellung von Nachrichten in sein Bieterpostfach einverstanden ist. Er ist daher verpflichtet, sein Bieterpostfach regelmäßig zu kontrollieren und muss sich Fristversäumnisse zurechnen lassen.
(Quelle: VOBaktuell Heft III/2021
Ass. jur. Anja Mundt)