Ausschluss wegen Schlechtleistung bei Vorauftrag

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Ausschluss wegen Schlechtleistung bei Vorauftrag
Beschluss der Vergabekammer des Bundes, VK 1 – 12/24 vom 29. Februar 2024

Der Begriff der mangelhaften Erfüllung i. S. d. § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB ist nicht streng zivilrechtlich zu interpretieren, sondern umfasst i. S. e. nicht vertragsgerechten Erfüllung sowohl vertragliche Haupt- als auch Nebenpflichten.

Belastet eine mangelhafte Leistung den öffentlichen Auftraggeber in tatsächlicher und finanzieller Hinsicht deutlich, beispielsweise durch Verzögerungen im Bauablauf und eine sich daraus ergebende Ersatzvornahme mit weiteren Belastungen und finanziellen Folgen, liegt eine erhebliche Vertragspflichtverletzung vor.

Nicht erforderlich ist, dass die Berechtigung der auf die Vertragspflichtverletzung gestützten Rechtsfolge gerichtlich bestätigt wird. Nimmt der Bieter eine vorzeitige Beendigung klaglos hin, kann dies genügen.

Bei der Prognoseentscheidung des Auftraggebers, ob von einem Bieter künftig trotz Vorliegens eines fakultativen Ausschlussgrundes eine sorgfältige, ordnungsgemäße und gesetzestreue Auftragsdurchführung zu erwarten ist, rechtfertigt bereits die Schlechterfüllung im Rahmen eines zurückliegenden Bauvorhabens für sich genommen die Annahme einer ungünstigen Prognose mit Blick auf zukünftige Auftragsdurchführungen durch diesen Bieter.

Gegenstand des Verfahrens war ein Ausschluss wegen Schlechtleistung.

Sachverhalt
Die Antragstellerin gab fristgerecht ein Angebot auf ein europaweites offenes Verfahren zur Technischen Wärmedämmung eines Neubaus ab. Die Auftraggeberin wollte die Antragstellerin gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB vom Verfahren ausschließen. Dem vorausgegangen war eine unwidersprochen gebliebene Kündigung der Antragstellerin bei einem vorherigen Auftrag wegen Schlechtleistung im April 2023. Mit dem Kündigungsschreiben hatte die Auftraggeberin eine später durchgeführte Ersatzvornahme angekündigt sowie Ersatz des weiter entstehenden Schadens beansprucht. Die Antragstellerin verwies nach Ankündigung des Ausschlusses auf ihre eingeleiteten Maßnahmen zur Reorganisation und verpflichtete sich zum Schadensersatz gegenüber der Auftraggeberin. Dennoch schloss die Auftraggeberin die Antragstellerin gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB i. V. m. § 6e Abs. 6 Nr. 7 VOB/A-EU vom Vergabeverfahren aus, weil sie ihre ernsten Zweifel an der Zuverlässigkeit und Leistungsfähigkeit der Antragstellerin nicht beseitigt sah. Die getroffenen Selbstreinigungsmaßnahmen erachtete die Auftraggeberin als unzureichend. Das Eingehen einer erneuten Vertragsbeziehung sei ihr infolge der vorangegangen einschneidenden Erfahrungen mit der Antragstellerin in tatsächlicher und finanzieller Hinsicht nicht zumutbar.

Nach erfolgloser Rüge, dass die Kündigung unwirksam sei, weil sie alle wesentlichen Leistungen ordnungsgemäß erbracht und keine überwiegende Schlechtleistung vorgelegen habe, beantragte die Antragstellerin die Einleitung des Nachprüfungsverfahrens. Im Zeitpunkt der Androhung der Kündigung sei es nur noch um unwesentliche Leistungen gegangen, die zum Teil als Nachtrag erst noch hätten beauftragt werden müssen.

Die Auftraggeberin ist der Ansicht, die Antragstellerin habe nach der Kündigung fast ein Jahr lang keine Maßnahmen ergriffen, um gegen die Kündigung vorzugehen. Erst nach der Ausschlussentscheidung habe das Rügeschreiben vom Januar 2024 die Rechtswirksamkeit der Kündigung angegriffen.

Die Vergabekammer hält den Nachprüfungsantrag für unbegründet.

Aus den Gründen
Die Auftraggeberin habe die Antragstellerin vom Vergabeverfahren gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB wegen aus ihrer Sicht mangelhafter Erfüllung wesentlicher vertraglicher Anforderungen in dem seit 2021 mit der Antragstellerin bestehenden und im April 2023 gekündigten Vertragsverhältnis ausschließen dürfen.

Nach § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB könne ein öffentlicher Auftraggeber unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ein Unternehmen zu jedem Zeitpunkt des Vergabeverfahrens von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren ausschließen, wenn das Unternehmen eine wesentliche Anforderung bei der Ausführung eines früheren öffentlichen Auftrags erheblich oder fortdauernd mangelhaft erfüllt und dies zu einer vorzeitigen Beendigung, zu Schadensersatz oder zu einer vergleichbaren Rechtsfolge geführt habe.

Vorliegend habe die Antragstellerin ihre vertraglichen Pflichten in einem Vorauftrag mangelhaft erfüllt und dies durch ihr Verhalten sowohl nach der unwidersprochenen Kündigung als auch im Vorfeld des jetzigen Vergabeverfahrens durch angekündigte „Selbstreinigungsmaßnahmen“ i. S. v. § 125 GWB eingestanden. Der Begriff der mangelhaften Erfüllung gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB sei nicht streng zivilrechtlich zu interpretieren, sondern umfasse i. S. e. nicht vertragsgerechten Erfüllung sowohl vertragliche Haupt- als auch Nebenpflichten.

Vorliegend seien vertragliche Leistungen nicht oder mangelhaft ausgeführt worden, z. B. hinsichtlich der Besetzung der Baustelle, des Fernbleibens von Jour Fixen sowie des Fernbleibens von Monteuren von der Baustelle. Die Antragstellerin habe die „Umstände und vorgefallenen Situationen“ selbst ausdrücklich bedauert. Aufgrund ihres eigenen Vortrags (sowie auch der Verpflichtungserklärung im Hinblick auf den Ausgleich des entstandenen Schadens) zweifelt die Vergabekammer nicht am tatsächlichen Vorliegen der Pflichtverletzungen, die die geschuldete vertragsgerechte Erfüllung infrage gestellt haben. Die Antragstellerin habe insoweit widersprüchlich in Bezug auf die von ihr infolge der Anhörung zur Ausschlussentscheidung im Januar 2024 eingeleiteten umfassenden Selbstreinigungsmaßnahmen und den zunächst sogar durch anwaltliche Verpflichtungserklärung vom Januar 2024 zugesagten Schadensersatz gehandelt.
Die mangelhafte Erfüllung eines früheren Auftrags habe auch in einer erheblichen Vertragspflichtverletzung bestanden, weil die mangelhafte Leistung die Auftraggeberin in tatsächlicher und finanzieller Hinsicht deutlich belastet habe. Durch Verzögerungen im Bauablauf sei es vorliegend infolge der Kündigung und darauffolgender Ersatzvornahme zu weiteren Belastungen in tatsächlicher (weitere Verzögerungen im Gesamtbauvorhaben) und finanzieller Hinsicht (Kosten der Ersatzvornahme) gekommen.

Die mangelhafte Erfüllung betreffe auch eine wesentliche Anforderung bei der Ausführung des früheren Auftrags i. S. v. § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB. Dies sei der Fall, wenn es sich um eine wesentliche vertragliche Pflichtverletzung, wie einen Liefer- oder Leistungsausfall, handle, wobei auch ein Verstoß gegen wesentliche Nebenpflichten in Betracht komme. Hier handle es sich um wesentliche vertragliche Anforderungen und nicht bloße Nebenpflichtverletzungen, denn die Vorfälle hätten zu Terminverzögerungen im gesamten Bauprojekt geführt, bei dem die Antragstellerin ein Teillos/Gewerk geleistet hätte. Mit Blick auf umfangreichen Schriftverkehr der Auftraggeberin mit der Antragstellerin hinsichtlich der Beseitigung der Hindernisse und der Ausführung der vertraglich vereinbarten Arbeiten sei davon auszugehen, dass es sich bei den unwidersprochen gebliebenen Kritikpunkten der Auftraggeberin, die letztlich in die von der Antragstellerin hingenommene Kündigung im April 2023 mündeten, auch um wesentliche Anforderungen in diesem Vertragsverhältnis handle.

Die fortdauernde mangelhafte Erfüllung einer wesentlichen Anforderung bei der Ausführung eines früheren öffentlichen Auftrags habe auch zu einer vorzeitigen Beendigung des Auftrags, Schadensersatz oder einer vergleichbaren Rechtsfolge gemäß § 124 Abs. 1 Nr. 7 GWB geführt. Dabei genüge es, dass der Bieter die vorzeitige Beendigung klaglos hingenommen habe. Die Auftraggeberin habe hier den Auftrag durch Kündigung beendet, nachdem sie zuvor mehrfach gemahnt und zudem im Anschluss eine Ersatzvornahme habe durchführen lassen. Damit lägen zwei Tatbestandsmerkmale der vorzeitigen Beendigung oder vergleichbaren Rechtsfolge vor. Dass die Wirksamkeit der Kündigung von der Antragstellerin im Januar 2024 erstmalig infrage gestellt worden sei, sei unbeachtlich. Denn
die Kündigung sei bereits seit geraumer Zeit, nahezu ein dreiviertel Jahr, von ihr nicht infrage gestellt worden und habe in der Folge zu einer ebenfalls unbeanstandeten Ersatzvornahme geführt. Dies genüge.

Die Auftraggeberin habe ihre Ausschlussentscheidung auch ermessensfehlerfrei unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit nach § 97 Abs. 1 Satz 2 GWB getroffen. Eine solche Ermessenentscheidung sei von den Nachprüfungsinstanzen nur auf die Einhaltung der Ermessensgrenzen überprüfbar. Maßgeblich für die Ausschlussentscheidung sei ein schwerwiegendes berufliches Fehlverhalten, das die Integrität des Bieters infrage stelle und dazu führen könne, dass er – auch wenn er über die technische und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit verfügte – für die Vergabe eines öffentlichen Auftrags ungeeignet erscheine.

Die von der Auftraggeberin durchgeführten Ermessenserwägungen seien nicht fehlerhaft, Anhaltspunkte für willkürliche oder sachwidrige Erwägungen nicht ersichtlich. Die Auftraggeberin habe auf Basis der von der Antragstellerin zunächst selbst schriftlich „bedauerten Umstände und vorgefallenen Situationen“ sowie der dargestellten Selbstreinigungsmaßnahmen eine sachgerechte Entscheidung getroffen. Sie habe sich mit den von der Antragstellerin dargestellten technischen, organisatorischen und personellen Maßnahmen auseinandergesetzt, sei jedoch der Ansicht gewesen, aus den Ausführungen nicht ableiten zu können, inwieweit diese Maßnahmen ausreichend seien, um das angestrebte Ziel der Vermeidung von künftigem Fehlverhalten zu verwirklichen. Aufgrund der Ankündigung der Antragstellerin, die beschlossenen Maßnahmen Ende 2024 durch einen externen Berater auf ihre Wirksamkeit überprüfen zu lassen, habe die Auftraggeberin nachvollziehbar abgeleitet, dass die Eignung der Maßnahmen für die beabsichtigte Selbstreinigung für sie noch nicht abzusehen sei. Diese Schlussfolgerung sei angesichts der Umstände bei der Vertragsdurchführung des gekündigten Vertrags nachvollziehbar und verhältnismäßig, denn sie eröffne der Antragstellerin bei einer erneuten Teilnahme an einem Vergabeverfahren der Auftraggeberin eine erneute Prüfung des Fortschritts der vorgenommenen Selbstreinigung.

Die Auftraggeberin habe im Rahmen ihrer Ermessensausübung gleichzeitig auch eine Prognoseentscheidung getroffen, ob von der Antragstellerin künftig trotz Vorliegens des fakultativen Ausschlussgrundes eine sorgfältige, ordnungsgemäße und gesetzestreue Auftragsdurchführung zu erwarten sei. Bereits die Schlechterfüllung im Rahmen des zurückliegenden Bauvorhabens für sich genommen rechtfertige die Annahme einer ungünstigen Prognose mit Blick auf zukünftige Auftragsdurchführungen durch die Antragstellerin. Jedenfalls habe die Auftraggeberin zu Recht festgestellt, dass erst mit der angekündigten Evaluierung zum Jahresende 2024 die Möglichkeit bestehe, die gewonnenen Erkenntnisse in einem zukünftigen Vergabeverfahren im Zusammenhang mit den Selbstreinigungsmaßnahmen zu würdigen. Dass die Auftraggeberin i. S. e. vollständigen Selbstreinigung nach § 125 Abs. 1 Nr. 1 GWB die noch fehlende Verpflichtungserklärung zur Zahlung eines Ausgleichs für durch Fehlverhalten verursachte Schäden ihrer Entscheidung wegen verspäteten Eingangs nicht mehr habe zugrunde legen können, sei insoweit unschädlich. Dies gelte umso mehr vor dem Hintergrund der im laufenden Verfahren durch die Antragstellerin vollzogenen Abkehr von ihrem bisherigen Sachvortrag bezüglich vorzeitiger Beendigung des Vertrags und des Vorliegens einer überhaupt mangelhaften Leistung. Aufgrund dessen geht die Vergabekammer davon aus, dass die Antragstellerin nicht mehr an ihrer Verpflichtungserklärung zum Schadensausgleich festhält.


(Quelle: VOBaktuell Heft I/2025
Ass. jur. Anja Mundt)