Ausschluss eines von zwei sich nur preislich unterscheidenden Hauptangeboten bei unredlichem Bieterverhalten
Vorschaubild: www.BillionPhotos.com / shutterstock
Ausschluss eines von zwei sich nur preislich unterscheidenden Hauptangeboten bei unredlichem Bieterverhalten
Beschluss der Vergabekammer Sachsen – 1/SVK/016-21 vom 18. August 2021
Leitsätze:
Durch die Neuregelung des § 8 EU Abs. 2 Nr. 4 VOB/A ist die Abgabe von mehreren Hauptangeboten grundsätzlich zugelassen, auch wenn sich diese nur im Preis unterscheiden. Dies schließt jedoch nicht aus, dass durch ein späteres Verhalten des Bieters Gründe gegeben sein können, die der Erteilung des Zuschlags auf eines seiner Hauptangebote entgegenstehen.
Die Abgabe (und Wertung) von mehreren sich nur im Preis unterscheidenden Hauptangeboten ist nicht grenzenlos möglich, sondern nur, solange keine belastbaren Anhaltspunkte für missbräuchliches Bieterverhalten vorliegen.
Das selektive Bedienen der Nachforderungsaufforderung in Kenntnis des Wettbewerbsergebnisses für nur eines von mehreren sich lediglich im Preis unterscheidenden unvollständigen Hauptangeboten stellt ein unredliches Bieterverhalten dar, welches zum Ausschluss des selektiv
vervollständigten Hauptangebots führt.
In der Entscheidung der VK Sachsen ging es um den Ausschluss eines von zwei sich nur preislich unterscheidenden Hauptangeboten vor dem Hintergrund, dass sich der Bieter missbräuchlich verhalten hatte.
Sachverhalt:
Der Auftraggeber schrieb Leistungen des Garten- und Landschaftsbaus (Umbau und Sanierung) aus. Einziges Zuschlagskriterium war der Preis. Das Angebot der Antragstellerin lag nach der Submission auf dem 3. Rang. Die zwei Hauptangebote der Beigeladenen lagen auf Rang 1 (Angebotssumme 127.773 Euro) und 2 (Angebotssumme139.657 Euro) und unterschieden sich lediglich im Preis. In dem auf Rang 1 liegenden Hauptangebot sind im Gegensatz zum auf Rang 2 liegenden Hauptangebot ein Preisnachlass ohne Bedingungen sowie niedrigere Einheitspreise für den Titel „Gehölze und Stauden“ enthalten, ansonsten sind die Angebote identisch. Der Auftraggeber forderte von der Beigeladenen für beide Hauptangebote das fehlende Formblatt 221 (Preisermittlung) nach, das laut Vergabeunterlagen mit Angebotsabgabe vorzulegen war. Zudem forderte er sie auf, für beide Hauptangebote das auf gesondertes Verlangen der Vergabestelle einzureichende Formblatt 223 (Aufgliederung Einheitspreise) vorzulegen und bat um Angaben zu Ursprungsorten und Bezugsquellen. Die Beigeladene reichte die geforderten Unterlagen und Angaben ausdrücklich nur für das teurere Hauptangebot ein und beschränkte die später geforderte Bindefristverlängerung ausdrücklich auf das teurere Hauptangebot.
Der Auftraggeber beabsichtigte, den Zuschlag auf das zweitplatzierte Hauptangebot der Beigeladenen zu erteilen und das auf Rang 1 liegende Hauptangebot auszuschließen, da für dieses keine verlängerte Bindefrist vorliege.
Die Antragstellerin rügte die beabsichtigte Zuschlagserteilung. Beide Hauptangebote der Beigeladenen seien als sogenannte Doppelangebote auszuschließen, da sie sich lediglich im Preis unterscheiden würden. Anschließend beantragte sie die Nachprüfung.
Nach Ansicht der Vergabekammer ist der Nachprüfungsantrag begründet.
Aus den Gründen:
Zwar sei die Abgabe mehrerer Hauptangebote, die sich lediglich im Preis unterscheiden, seit der Neuregelung des § 8 EU Abs. 2 Nr. 4 VOB/A im Jahr 2019 generell zulässig.
Dies schließe jedoch nicht aus, dass durch ein späteres Verhalten des Bieters Gründe vorliegen könnten, die der Bezuschlagung eines seiner Hauptangebote entgegenstehen.
So sei die Abgabe (und Wertung) von mehreren sich nur im Preis unterscheidenden Hauptangeboten nicht grenzenlos möglich, sondern nur, solange keine belastbaren Anhaltspunkte für ein missbräuchliches Bieterverhalten vorliegen.
Das selektive Bedienen der Nachforderungsaufforderung in Kenntnis des Wettbewerbsergebnisses für nur eines von mehreren sich lediglich im Preis unterscheidenden unvollständigen Hauptangebote stelle ein solches unredliches Bieterverhalten dar, das zum Ausschluss des selektiv vervollständigten Hauptangebots führe, so die Vergabekammer. Daher sei das verbliebene (teurere) Hauptangebot der Beigeladenen auszuschließen.
Das Verhalten der Beigeladenen offenbare hinreichend belastbare Anhaltspunkte dafür, dass diese sich missbräuchlich bzw. unredlich verhalten habe.
Die Beigeladene habe zwei unvollständige Hauptangebote abgegeben, die sich lediglich im Preis unterschieden. Das niedrigere Hauptangebot sehe einen Preisnachlass ohne Bedingung i. H. v. 5 Prozent sowie teilweise niedrigere Einheitspreise vor. Der Aufforderung, das fehlende Formblatt 221 nachzureichen sowie das vorbehaltene Formblatt 223 vorzulegen und Angaben zu Ursprungsorten und Bezugsquellen zu machen, sei die Beigeladene nur für ihr auf Rang 2 liegendes Hauptangebot nachgekommen.
Sachliche Gründe, warum der Beigeladenen die Nachreichung des fehlenden Formblattes 221 für das auf Rang 1 liegende Hauptangebot nicht möglich gewesen sei, sieht die Vergabekammer nicht. Im Formblatt 221 werde maßgeblich die Kalkulation des Verrechnungslohnes offengelegt. Die Angaben im Formblatt 221 für das teurere Hauptangebot hätten genauso auch für das billigere Hauptangebot verwendet werden können, wenn die Antragstellerin die Nachreichung nicht ausdrücklich auf das teurere Hauptangebot beschränkt hätte. Für die Vergabekammer stellt sich dies als Verhalten dar, das belastbare Anhaltspunkte für ein missbräuchliches Bieterverhalten zeigt und mit dem nachträglich der Vergabewettbewerb in unstatthafter Weisebeeinträchtigt wurde.
Das konkrete Verhalten der Beigeladenen sei unredlich und deshalb deren verbleibendes Hauptangebot auszuschließen. Die Beigeladene habe – um ihren Ertrag zu steigern – in Kenntnis des Submissionsergebnisses die Nachforderung für das billigere Hauptangebot nicht bedient. Hierin und nicht bereits in der Abgabe der beiden sich nur im Preis unterscheidenden Hauptangebote liege das unredliche Verhalten, das zum Ausschluss führe. Die Unterbreitung (und Wertung) von mehreren sich nur im Preis unterscheidenden Hauptangeboten sei nicht grenzenlos möglich, sondern nur solange keine belastbaren Anhaltspunkte für missbräuchliches Bieterverhalten vorliegen. Da ein Auftraggeber dieses nicht bereits bei Abfassung der Vergabeunterlagen feststellen könne, ziele der Einwand erkennbar auf die Wertung und Berücksichtigungsfähigkeit der Hauptangebote ab. Aus dem Wortlaut des § 8 EU Abs. 2 Nr. 4 VOB/A sei jedenfalls nicht ersichtlich, dass der Normgeber ein Verhalten wie das der Beigeladenen als zulässig ansehe.
Die Vergabekammer zweifelt nicht, dass die Beigeladene ihr niedrigeres Hauptangebot vervollständigt hätte, wenn ein anderer Bieter mit seinem Hauptangebot den 2. Rang erreicht hätte. Nur durch den Umstand, dass sie mit ihren Hauptangeboten auf Rang 1 und 2 liege und ihr dies durch die Submission bekannt sei, könne sie die Situation dergestalt unredlich ausnutzen, dass sie im Ergebnis nur noch an ihr teureres Angebot gebunden sei.
Gäbe ein Bieter nur ein Hauptangebot ab, sei er gezwungen, so zu kalkulieren, dass er sowohl Zuschlagschancen habe als auch ein für sich wirtschaftlich vertretbares Angebot abgeben könne. Gäbe er wie hier mehrere unvollständige Angebote ab, könne er anders als bei einem Angebot zunächst mit dem wirtschaftlichsten Angebot um den Zuschlag mit anderen Bietern konkurrieren und durch die gestaffelte Abgabe eines oder mehrerer weiterer Angebote darauf spekulieren, dass sich kein weiterer Bieter zwischen seine Angebote schiebe, um im Nachgang nur die Nachforderung für das teuerste zu bedienen. Ihm stünden somit auch nach Angebotsabgabe wirtschaftliche Gestaltungsmöglichkeiten offen, die über die Entscheidung, ob überhaupt der Zuschlag erreicht werde oder nicht, hinausgingen.
Zwar würden durch eine unlimitierte Zulassung und Wertung von sich lediglich im Preis unterscheidenden Hauptangeboten mutmaßlich mehr Angebote abgegeben. Ob dies aber tatsächlich den Wettbewerb erhöhe, sei fraglich, denn soweit ein Bieter mehrere unvollständige, sich nur im Preis unterscheidende Hauptangebote abgebe, werde er immer nur dasjenige vervollständigen, das ihm den Zuschlag und zugleich den höchsten Ertrag sichere. Alle anderen Angebote würden nicht vervollständigt. Dies stelle sich eher als unbotmäßige Wettbewerbsverzerrung denn als Wettbewerbssteigerung dar. Dass Bieter mehrere vollständige Hauptangebote abgäben bzw. auf Nachforderung hin alle nur im Preis verschiedenen Hauptangebote vervollständigten, hält die Vergabekammer für lebensfremd.
Um nicht Wettbewerbsnachteile gegenüber Konkurrenten zu haben, könne darüber hinaus künftig anderenfalls jeder Bieter möglichst viele unvollständige, sich lediglich im Preis unterscheidende Hauptangebote abgeben und erst nach Submission entscheiden, ob und welches er vervollständige. Dies führe zu einem aufgeblähten, künstlichen Wettbewerb, in dem zahlreiche Angebote je nach Konstellation der Submission bewusst unvollständig und damit zuschlagsunfähig gehalten und andere durch selektives Nachreichen von fehlenden Erklärungen vervollständigt würden. Dies erschwere den Wertungsvorgang des Auftraggebers in nicht unerheblicher Weise.
Praktische Auswirkungen:
Die Vergabekammer stellt klar, dass die Abgabe (und Wertung) zweier Hauptangebote, die sich nur im Preis unterscheiden, nach § 8 EU Abs. 2 Nr. 4 VOB/A grundsätzlich zulässig ist. Bieter sollten allerdings beachten, dass dies nicht grenzenlos gilt, sondern nur, solange keine belastbaren Anhaltspunkte für ein missbräuchliches Bieterverhalten vorliegen. Ein solches missbräuchliches Bieterverhalten sieht die Vergabekammer vorliegend in dem selektiven Bedienen der Nachforderungsaufforderung in Kenntnis des Submissionsergebnisses für nur eines von mehreren sich lediglich im Preis unterscheidenden unvollständigen Hauptangeboten. In der Konsequenz führte das unredliche Bieterverhalten hier zum Ausschluss des selektiv vervollständigten Hauptangebots.
(Quelle: VOBaktuell Heft II/2022
Ass. jur. Anja Mundt)