Anwendbarkeit der 80%-Regelung des § 650c Abs. 3 BGB beim VOB/B-Vertrag
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Anwendbarkeit der 80%-Regelung des § 650c Abs. 3 BGB beim VOB/B-Vertrag
Beschluss des OLG München – 9 U 3791/23 – vom 12. März 2024
Leitsätze:
- Zulässigkeit einer negativen Feststellungsverfügung gegen eine Abschlagsrechnung, die auf einen gemäß § 650c Abs. 3 S. 1 BGB ermittelten Mehrvergütungsanspruch gestützt wird.
- § 650c Abs. 3 BGB ist ebenso wie § 650d BGB im VOB-Vertrag anwendbar. Will der Unternehmer nach § 650c Abs. 3 S. 1 BGB vorgehen, müssen aber auch im VOB-Vertrag die Voraussetzungen des § 650b BGB gegeben sein.
- Wenn durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 S. 1 ZPO über die Berufung entschieden wird, kommt es in einem Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes auf die Voraussetzungen gemäß § 522 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 und Nr. 3 ZPO nicht an.
Das OLG München hat entschieden, dass unter den Voraussetzungen des § 650b BGB die 80%-Regelung des § 650c Abs. 3 BGB auch beim VOB/B-Vertrag anwendbar ist.
Sachverhalt
Die Parteien streiten über Mehrvergütungsansprüche der Auftragnehmerin, die diese unter Anwendung von § 650c Abs. 3 S. 1 BGB geltend machte.
Die Parteien haben am 08.04./29.07.2019 einen Bauvertrag geschlossen, der die Erstellung eines großen Tunnelbauwerks im Rahmen der Maßnahme zur Verlegung einer Bundesstraße zum Gegenstand hat. Bei dem Bauvertrag handelt es sich um einen Einheitspreisvertrag mit einem von der Auftraggeberin erstellten Leistungsverzeichnis. Die VOB/B ist Vertragsbestandteil.
Mit der streitgegenständlichen Abschlagsrechnung stellte die Auftragnehmerin eine Abrechnung gemäß § 650c Abs. 3 BGB (80%-Regelung). Mit Schreiben vom 19.07.2023 wies die Auftraggeberin die mit der Abschlagsrechnung geltend gemachten Forderungen – soweit diese nicht bezahlt wurden – unter Hinweis auf das Nichtvorliegen der Voraussetzungen des § 650c Abs. 3 BGB zurück.
Das Landgericht war der Auffassung, dass bei Geltendmachung eines Anspruchs gem. § 650c Abs. 3 BGB die hierfür erforderlichen Voraussetzungen des § 650b BGB vorliegen müssen, und zwar unabhängig davon, ob auf den zugrundeliegenden Werkvertrag die VOB/B anzuwenden ist.
Aus den Gründen
Nach Auffassung des Senats sei § 650c Abs. 3 BGB auch im VOB-Vertrag anwendbar. Wenn der Unternehmer nach § 650c Abs. 3 S. 1 BGB vorgehen wolle, müssen aber auch im VOB-Vertrag die Voraussetzungen des § 650b BGB gegeben sein. Die VOB/B enthalte allgemeine Vertragsbedingungen und modifiziere, wenn sie Bestandteil eines Bauvertrags geworden sei, die gesetzlichen Regelungen. Die VOB/B enthalte jedoch keine Regelung, die § 650c Abs. 3 BGB entspreche. § 16 Abs. 1 VOB/B enthalte zwar Vorschriften zur Abschlagszahlung, ein vorläufiges einseitiges Preisbestimmungsrecht des Unternehmers sei darin nicht enthalten. Damit enthalte die VOB/B in Bezug auf § 650c Abs. 3 BGB keine Modifikation, § 650c Abs. 3 BGB bleibe anwendbar.
Keine Frage der Anwendbarkeit der Norm, sondern eine Frage der Einhaltung ihrer Voraussetzungen sei der Umstand, dass das Anordnungsrecht des Auftraggebers im
VOB-Vertrag abweichend geregelt sei. Wolle der Unternehmer nach § 650c Abs. 3 S. 1 BGB vorgehen, müssten aber auch im VOB-Vertrag die Voraussetzungen des § 650b BGB gegeben seien. § 650c Abs. 3 S. 1 BGB sei im BGB-Bauvertrag an die Voraussetzungen des § 650b BGB geknüpft. § 650c Abs. 3 S. 1 BGB erfordere tatbestandsmäßig ein Angebot nach § 650b Abs. 1 BGB aufgrund eines Änderungsbegehrens des Bestellers und eine anschließende Anordnung nach § 650b Abs. 2 BGB. Für den Senat sei kein Grund ersichtlich, weshalb diese Voraussetzungen im VOB-Vertrag nicht einzuhalten sein sollten. Denn die VOB/B enthalte, wie ausgeführt, gerade keine Modifikation des § 650c Abs. 3 S. 1 BGB, sodass § 650c Abs. 3 S. 1 BGB unverändert, einschließlich seiner Voraussetzungen, zur Anwendung komme.
Hinzu komme, dass § 650c Abs. 3 BGB Teil eines einheitlichen Regelungssystems, bestehend aus §§ 650b, 650c, 650d BGB sei. Der Gesetzgeber habe ein System aufeinander aufbauender und aufeinander Bezug nehmender Normen zur Anordnung von Leistungsänderungen, zur Vergütung dieser geänderten Leistungen und zur Durchsetzbarkeit geschaffen und sei dabei insbesondere dem System der VOB/B nicht gefolgt. Deshalb könne die Auftragnehmerin nicht ohne Weiteres auf einzelne Regelungen wie § 650c Abs. 3 S. 1 BGB zurückgreifen, ohne die sich aus § 650b BGB ergebenden Voraussetzungen zu beachten. Dass die Voraussetzungen der §§ 650c Abs. 3 S. 1, 650b BGB oftmals im VOB-Vertrag nicht erfüllt sein werden, weil das Nachtragsschema im VOB-Vertrag ein anderes sei, könne dem nicht entgegengehalten werden. Denn es stehe den Parteien grundsätzlich frei, wie sie die Anordnung und Vergütung von Nachträgen gestalten.
Anmerkung
Nach Auffassung des OLG München kann ein Auftragnehmer unter den Voraussetzungen des § 650b BGB die 80%-Regelung des § 650c Abs. 3 BGB auch beim VOB/B-Vertrag geltend machen. Hiernach kann der Unternehmer bei der Berechnung von vereinbarten oder gemäß § 632a geschuldeten Abschlagszahlungen 80 Prozent einer in einem Angebot nach § 650b Abs. 1 S. 2 BGB genannten Mehrvergütung ansetzen, wenn sich die Parteien nicht über die Höhe geeinigt haben oder keine anderslautende gerichtliche Entscheidung ergeht. In diesem Falle müssen aber auch die Voraussetzungen des § 650b BGB vorliegen, d. h. ein Angebot nach § 650b Abs. 1 BGB aufgrund eines Änderungsbegehrens des Bestellers und eine anschließende Anordnung nach § 650b Abs. 2 BGB. Nach der VOB/B besteht hingegen ein Anordnungsrecht des Bestellers, ohne dass die Voraussetzungen des § 650b BGB erfüllt sein müssen. Häufig werden dessen Voraussetzungen daher nicht vorliegen. Abschließend wird diese umstrittene Thematik nur der Bundesgerichtshof klären können.
(Quelle: VOBaktuell Heft III/2024
RA Dr. Philipp Mesenburg / RA Christian Schostag)